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■ KolumnePezke und Dezke im Fischrestaurant

Ein traditionsreiches Hamburger Fischrestaurant. Die Wirtin hat eine laute Stimme und pflegt auch mit ihr unbekannten Gästen einen familiären Umgangston. Der Kellner trägt eine Kapitänsuniform. Pezke: (singt leise vor sich hin) Dezke: Na, wirds doch noch was mit der Gesangskarriere? Pezke: Ich singen? Niemals! Aber ich habe neulich eine CD mit Johannes-Heesters-Hits gehört, auf der auch dieser Song „Man müßte Klavierspielen können“ drauf war. Dezke: Und jetzt wilst du Klavierunterricht nehmen? In deinem Alter? Pezke: (lacht) Du kannst so desillusionierend sein! Vielleicht sollte ichs erstmal mit Maultrommel probieren. Dezke: Im Vertrauen: Von Nichtmusikern akzeptiere ich auch kein musikalisches Urteil. Mich wundert aber vor allem eins: Es gibt so viele Leute, die als Kind oder Jugendlicher ein Instrument lernen, und doch so verschwindend, staubkörnchenhaft wenig interessante Musiker in Deutschland. Die wenigen, die es in Hamburg öffentlich zu sehen gibt, sind entweder Dilettanten, weil sie erst mit 35 auf der Uni auf die Idee gekommen sind, in einer Band sein zu müssen, oder zufrieden wenn sie wie irgendein bekannter Ami- oder Brit-Mucker klingen. Beides ziemlich tragische Fälle. Tragisch natürlich auch für uns Zuhörer. In England gibt es wenigstens noch eine Menge Kids, die Stars oder tragisch gescheiterte drogensüchte Genies werden wollen. In Deutschland hast du den Gipfel an Exzentrizität, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen Tänzerin werden, also bei „Cats“ mitmachen will. Deswegen gibt es in Deutschland überhaupt keine Alltagspoesie mehr, neunundneunzig Prozent des deutschen Alltags finden in Musik einfach nicht statt! Nur das Leben von eitlen männlichen Intellektuellen mit fragilen Egos wird bis in die letzten Winkel ausgeleuchte. Was ja schön und gut ist. Aber wenn ich bedenke, was dadurch verloren geht, daß die restlichen 99 Prozent einfach die Klappe halten! Es ist ja nicht so, daß ein Verwaltungsangestellter oder ein Schaustellergehilfin zwingend ein ödes Leben führen, über das es nichts zu sagen gibt, im Gegenteil: Interessanter als unser vereinsamtes Studentendasein ist es wahrscheinlich allemal. Nur haben wir zwei unschlagbare Vorteile, nämlich erstens, daß wir ans Bramabarsieren und Wichtigtun gewöhnt sind, wir sind darin zu Hause, ja, wenn wir etwas wirklich können, dann das, und zweitens können wir uns einfach in eine vorhandene Form einklinken, denn Nabelschau und Selbstbespiegelung zu Popmusik haben uns ja mittlerweile ein paar Leutchen vorgemacht. Der Verwaltungsangestellte müßte sich, um seinem Leben, seinen Gedanken und Gefühlen poetischen Ausdruck zu geben, eine völlig neue Form schaffen. Na, vielen Dank! Da würde ich auch lieber Kegeln gehen oder ... Pezke: Ich glaube, ich bestelle mir noch eine rote Grütze. Detlef Diederichsen

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