Kolumne Wortklauberei: Die Ärmsten der Armgerechneten
Und um wie viele Millionen haben Sie die Agentur für Arbeit heute schon wieder betrogen?
H aben Sie's gehört? Die Agentur für Arbeit ist total aus dem Häuschen. "Die Agentur für Arbeit schlägt Alarm", dräute es aus der "Tagesschau" heraus. Ja, was ist denn nur passiert? Hat sich die Leyen um eine Kommastelle vertan letztens oder hat gar mal einer von denen einen wachen Blick auf den Leiharbeitsmarkt geworfen, und es hat ihm gleich dermaßen den Vogel rausgehauen?
Nein: "Die Agentur für Arbeit schlägt Alarm!", weil die Agentur für Arbeit es "mit Sorge beobachtet", dass immer mehr Freiberufler Hartz IV in Anspruch nehmen. Jetzt muss ich zunächst mal sagen: Wenn ich immer gleich Alarm schlagen würde, wenn ich etwas mit Sorge beobachte, dann tät aber wirklich überhaupt keine Ruh nimmer werden. Das würde kein Schwein aushalten. Aber nun gut.
Die Agentur für Arbeit beobachtet es jetzt halt mit Sorge, dass so viele, ja: sogar "immer mehr!" Freiberufler Hartz IV beziehen. Nicht, weil die Agentur für Arbeit den Freiberuflern das viele, viele Geld nicht gönnen und sich lieber selber davon ein Eis kaufen würde. Sondern weil die Agentur für Arbeit einfach nicht g-l-a-u-b-e-n k-a-n-n, dass so viele Leute so scheiße wenig Kohle haben, dass sie sich freiwillig das Getue mit Hartz IV antun.
Da muss was nicht mit rechten Dingen zugehen, so viele können nicht einfach mir nichts, dir nichts so arm sein, die müssen sich wohl künstlich "arm rechnen"! Sicher gibts schon bald Schätzungen, was Experten einer Studie zufolge meinen, um wie viele Milliarden sich deutsche Freiberufler allein im letzten Jahr arm gerechnet haben, und die Dunkelziffer ist noch viel höher! Systematisches massenhaftes Armrechnen befürchtet die Agentur für Arbeit, Selbstständige könnten ihr Einkommen herunterrechnen, vermutet die Agentur für Arbeit, und ihr fehlen die Mittel und Behufe, diesen skrupellos-systematischen Armrechnern auf die Schliche zu kommen - und das macht sie ganz fuchsig, die Agentur für Arbeit, und drum schlägt sie jetzt Alarm.
Wir retten 42 Bäume im Jahr
Ich selbst könnte jetzt ganz leicht Hartz IV beantragen, weil ich ein 1-a-Armutszeugnis vorzuweisen habe. Allerdings selbst ausgestellt, dann gilts wahrscheinlich nicht. Ich muss gestehen, dass wir erst vor Kurzem, nach all den Jahren, auf Ökostrom umgestellt haben. Oh Mann, ist das peinlich. Jedenfalls hat mir meine Freundin gerade vermeldet, sie entnehme der Broschüre des Ökostromanbieters, wir würden durch unsere Ökostromangebotsteilnahme 42 Bäume im Jahr retten.
42 Bäume, wunderbar! Schöne Zusatzleistung, wo es mir doch vorrangig darum ging, Jürgen Großmann zu schädigen (ha!). Ich würde dann gern 42 von denen retten, die noch in Stuttgart auf diesem Bahnhofsplatz stehen, dann wären da Fakten geschaffen, Pfoten weg von den Bäumen, und dann würd da vielleicht wenigstens mal eine Ruh. Nichts zu danken.
Moment: In der Broschüre steht bei genauerem Hinlesen, wir sparen durch unseren Ökostrombezug der Umwelt 842 Kilo CO2 im Jahr, das entspreche "in etwa dem Klimaschutzeffekt von 42 Bäumen". Wir machen also vielmehr 42 Bäume überflüssig. Verdammt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören