piwik no script img

Kolumne WortklaubereiDer Power-Nap der Unvernunft

Kolumne
von Josef Winkler

Und noch eine Kolumne, die Antworten auf große Fragen sowie memorable Soundbites schuldig bleibt.

P olitik ist nicht mein Leben." Was? Ja, dann halt doch den Rand, Mann! Erinnern Sie sich noch an diesen an und für sich scheißegalen Satz und an seinen schweinchenhaften Urheber, aus dessen Mund er aber dann so richtig reingehauen hat? Zumindest für ungefähr fünf Minuten in History?

Obwohl er ihn, den wichtigsten Satz in seiner politischen Karriere - jedenfalls den Satz, der für mich in seiner politischen Karriere am wichtigsten war - dann auch noch falsch betont hatte. "Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens", sagte Roland Koch vor wer weiß wie langer Zeit, "aber Politik ist nicht mein Leben." Wobei er aber im letzten Teil das "mein" so rätselhaft sinnfern betonte, "Politik ist nicht MEIN Leben" - aber vielleicht das von jemand anders? Wurscht, Hauptsache der Typ verpisst sich, gebe ich hier mal salopp die damals in meinem Bekanntenkreis vorherrschende Empfindung wieder. Und gut wars dann auch.

Und jetzt schaut man EinsExtra, mitten im August 2011, und auf einmal quäkt da genau dieser Satz, und zwar nicht aus einer berührenden Doku über die schönsten Rücktritte deutscher Polit-Ekel, sondern aus so einem dynamisch geschnittenen Jingle-Trailer-Teaser-Dings, einer dieser wichtigtuerischen Collagen aus starken Bildern und memorablen Soundbites, die flackernd Zeugnis davon ablegen sollen, wie in jeder Hinsicht am Puls von ALLEM der ausstrahlende Sender hängt. Und nun frag ich mich, ob seit - ich hab jetzt nachgeschaut - Mai letzten Jahres nicht ein paar Dinge passiert sind in der Weltgeschichte, die in den Augen der Jingle-Trailer-Dings-Editoren von EinsExtra die windelweichen Einlassungen eines sich nach dem Schwinden seiner Karriereaussichten in der Politik in Richtung "Wirtschaft" vom Acker machenden Opportunisten an historischer Prägnanz übertreffen? Ich meine: in den Jingle-Teaser-Dingern vom BR ist schon jetzt nicht mal mehr der Guttenberg drin. Oder zumindest kaum noch. Selten. Na gut, manchmal.

Bild: taz

JOSEF WINKLER (35) lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.

Jedenfalls: Warum schaue ich EinsExtra mitten im August? Nun, ich hatte das Gefühl, etwas mehr auf Empfang bleiben zu müssen, nachdem ich am Montag fast die Weltwirtschaftskrise verschlafen hätte. Ich hatte mich am frühen Abend für einen kliiitzekleinen Power-Nap niedergelegt, und als ich wiederkehrte, wurde ich mit noch schlaftrübem Hirn eines zerknirscht wirkenden "ARD Brennpunkt"-Moderators gewahr. Der schaltete gerade von einer Korrespondentin auf dem Parkett der New Yorker Börse weg, deren Report live vom Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems offenbar mangels Zusammenbruchs in die Hose gegangen war. Dann verabschiedete er sich von den Zuschauern mit dem Ausdruck des Bedauerns, er habe nun leider die Antworten auf ein paar große Fragen - "Kommt jetzt die große Krise? Bricht jetzt das Weltwirtschaftssystem zusammen?" - "schuldig bleiben müssen", weil sein Gesprächspartner-Experte nicht aufgetaucht sei.

Alles in allem ein recht lauwarmer "Brennpunkt". Aber der hätte beinahe die Antworten auf diese großen Fragen gehabt! Und ich hätts beinahe verpennt.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!