Kolumne Wechseljahr 2008: Enger als gedacht
Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation.
Der erfahrene Joe Biden ist als demokratischer Vizekandidat auserkoren; der Parteitagsrummel ist gelaufen. Aber zunehmend macht sich MoveOn.org, eine der wichtigsten liberalen Aktivistenorganisationen in den USA, öffentlich Sorgen, dass Barack Obama trotz des unverkennbaren Versagens der Regierung von George W. Bush womöglich im November nicht gewinnen wird.
"Wir sind schlimmer dran als vor vier Jahren." Das hätte eigentlich ein demokratischer Spruch sein sollen. Aber John McCains gewitzter Werbespot dreht die gleiche Lehre zugunsten seiner eigenen Kampagne. Derweil fragen im scheinheilig-meditativen Ton konservative Meinungsmacher, wie es denn wohl sein könnte, dass Obama es nicht schafft, einen größeren Vorsprung vor seinem Rivalen zu haben angesichts just dieser Unpopularität der Bush-Regierung ("Obama sollte ihm doch weit voraus sein." - "Alle sagten, McCain werde zu diesem Zeitpunkt zweistellig zurückliegen. Er ist aber fast gleichauf.") Und: "Müsst eben einen Sinn für Spaß behalten." So reagierte McCain bündig, als er gefragt wurde, was er denn von dem Anti-Obama-Buch des Jerome Corsi, "Obama Nation" - ein Wortspiel auf "abomination" (Abscheulichkeit) - halte. Das Buch, im Handumdrehen auf Platz eins der der Bestsellerlisten, strotzt vor krassen Unterstellungen, Halbwahrheiten und glatten Lügen und will dreifach Angst vor Obama schüren: Es stellt ihn dar als einen linksradikalen Sozialisten, einen heimlichen Verbündeten der Islamisten und als einen Black-Power-Kämpfer (der "alles weiße Blut aus sich selbst herausmerzen möchte, bis er rein schwarz ist"). Wenn Rechtskonservative die Unwahrheit sagen, ist es halt nur ein Scherz.
Die neuesten Taktiken der Republikaner sind divers - aber sie ziehen alle. Von nicht geringer Bedeutung war die rasch gelieferte Medieninterpretation des Doppelinterviews der Kandidaten beim evangelikalen Megapastor Rick Warren in der Saddleback Church zu Fragen der Sexual-, Wirtschafts- und Außenpolitik. Was noch vor drei Wochen unmöglich erschien - dass der in Glaubensfragen meist wortkarge McCain enthusiastische Unterstützung bei den in Wahlen oft den wichtigen Ausschlag gebenden Gruppe der Evangelikalen finden würde -, galt auf einmal als abgemacht.
Es war nicht nur McCains "knackige" Antwort auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt denn "ein Baby Menschenrechte hat" ("beim Moment der Empfängnis"), und nicht nur sein Beharren auf Ölbohrungen an amerikanischen Küsten (der tosende Beifall in der Kirche machte klar, dass dies anscheinend nun die korrekte "christliche" Position ist). McCain hatte, so wurden die Amerikaner belehrt, diese Runde besonders durch seine Körpersprache und emotionale Direktheit gewonnen.
Was ein konservativer Wunsch war, wird unsere Wirklichkeit. Es wird ein enges Rennen. Die Wahl der Alaska-Gouverneurin Sarah Palin als republikanische Vizekandidatin - vehemente Abtreibungsgegnerin und Mutter von fünf Kindern, eines mit Downsyndrom und einer, der als Soldat demnächst in den Irak ziehen wird - macht es nur noch enger.
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