piwik no script img

Kolumne TierschutzUnser Wollpulli

Kolumne
von Hilal Sezgin

Wieder einmal übertrifft die Grausamkeit der industriellen Tierhaltung jede pädagogisch vermittelbare "Realität".

D er Sommer kam früh in diesem Jahr. In der Mittagshitze liegen die Schafe wie wollene Maulwurfshügel im Schatten und atmen schwer. Sobald die Tage der Eisheiligen vorüber sind, werden sie geschoren. Nach der Prozedur habe ich Jakob, unseren ältesten Hammel, oft wie ein Lamm herumspringen gesehen, so schön ist es offenbar, von der mehrere Kilogramm schweren Hülle befreit zu sein. Eine Lehrerin aus der Nachbarschaft hat gefragt, ob sie einen Karton voll ungereinigter Wolle haben könne, sie würde sie gern in die Schule mitnehmen, damit die Kinder lernen, wo die Dinge herkommen.

Bild: privat

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide.

Eine gute Idee, habe ich zunächst gedacht, und dann: Irgendwie stimmt das doch hinten und vorn nicht. So idyllisch geht es schließlich nicht überall zu. Die Wolle unserer Pullover und Jacken stammt nicht von Schafen, die in der Lüneburger Heide unter Bäumen ruhen. Die Wolle, die hier geschoren wird, wird für wenige Cent verkauft oder auch gegen Bezahlung zum Müll gegeben, während fast die gesamte Wolle für unsere Kleidung aus Australien importiert wird: Die dort lebenden Schafe werden im Akkord geschoren, dabei oft zigfach verletzt, durchs Desinfektionsbad gejagt, mehrmals im Jahr mit Pestiziden behandelt. Wenn es Merinoschafe sind, ihre Haut am Hintern Falten wirft und Maden anlockt, schneidet man ihnen ohne jede Betäubung das Fell vom Leib. Nackte Haut bleibt übrig. Wo keine Wolle wächst, können sich keine Parasiten einnisten: Das sogenannte Mulesing ist in sich logisch, doch ethisch vertretbar ist es nicht.

Wenn die Tiere nach einigen Jahren ausgedient haben, werden sie zum Schlachten auf großen Schiffen in Richtung Nordafrika oder arabische Halbinsel transportiert, mehrere Wochen lang, Hunger, Durst und Knochenbrüche inklusive. Nur gelegentlich erfährt der Fernsehzuschauer von solch einem Schiff, wenn es noch länger als üblich vor Anker liegt, wenn die Herde aus Angst vor Seuchengefahr nicht an Land gelassen, sondern - tot, krank oder lebendig - über Bord geworfen wird. All diese Quälereien trägt der deutsche Pulloverträger unwissend mit.

Schon seit Jahren übt die Tierrechtsorganisation Peta Druck auf die australischen Wollproduzenten (auf die Firmen, nicht die Schafe) aus. Unter anderem H & M und Adidas haben sich dem Boykott von Mulesing-Wolle angeschlossen. Auch manche deutsche Ökotextilhersteller sind hier aktiv. Die zu den Großen in der Branche gehörende Bekleidungsfirma hessnatur beispielsweise versucht, möglichst viel Wolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung (kbT) zu beziehen. Dabei wird nicht nur das Mulesing, sondern auch die Kastration von Lämmern und das Kupieren von Schwänzen ausgeschlossen. Zusätzlich hat hessnatur mit einigen Herstellern vertraglich vereinbart, dass diese ihre alten Schafe nicht zum Schlachten verschicken; allerdings räumt hessnatur von sich aus ein, das könne man leider nicht kontrollieren.

30 Prozent der bei hessnatur verarbeiteten Wolle stammt derzeit aus kontrolliert biologischer Tierhaltung - warum nicht mehr? Es gebe derzeit einfach nicht genug, erklärt man mir. Ernst Schütz, der Inhaber der Firma Waschbär, präzisiert: Es existierten noch nicht genügend Anbieter von kbT-Wolle, was unter anderem daran liege, dass der gesamte Verarbeitungsprozess nach ökologischen Standards abzulaufen hat; und die entsprechenden Mengen Wolle, bei denen sich eigene Anlagen für eine getrennte Verarbeitung lohnen würden, würden auf dem Weltmarkt noch nicht verlangt.

Auch Waschbär führt kbT-Produkte und weist sie im Katalog als solche aus; ein sichtbares, übergreifendes Siegel für den Endverbraucher gibt es bei Textilien nicht. Nichts Vergleichbares wie transfair oder wie das Bio-Siegel. Aber wäre es für den Kunden nicht ein Anreiz zum bewussteren Kauf, wenn er die Wahl hätte? Wenn er neben dem Preisschild ablesen könnte: Diese Strickjacke wurde tierschonend hergestellt? Dass der Konzern H & M keine Probleme haben soll, Mulesing-freie Wolle für seine gesamte Produktion einzukaufen, hat mich nach den Gesprächen mit Waschbär und hessnatur gewundert; also fragte ich in Stockholm nach. Doch versicherte man mir, den Kauf von Mulesing-Wolle zu boykottieren; auch die von australischen Wollproduzenten für die kommenden Jahre proklamierte "Alternative", mit Plastikclips die Hautpartien am Hintern der Schafe abzuklemmen, wolle H & M nicht akzeptieren.

Glaubt man diesen Aussagen, dann lassen sich hier zwei verschiedene Strategien beobachten, wie sich die Textilindustrie einer "Kleidung mit gutem Gewissen" annähert: Einerseits gelingt es bei hinreichendem Druck anscheinend, genug Mulesing-freie Wolle zu erhalten. Andererseits ist Mulesing ja nicht das einzige Tierschutzproblem in der Wollproduktion; wenn man aber noch strengere und zusätzlich auch ökologische Maßstäbe anlegt, gelingt dies nicht für die gesamte Produktion.

Mulesing und Lebendverschiffung, Kastration und Kupieren ohne Betäubung: Eigentlich müsste man den Kindern davon erzählen. Man sollte ihnen beibringen, bei den Herstellern ihrer Kleider nachzufragen und die australische Regierung mit Briefen zu bombardieren. Man sollte ihnen Filme von Schiffen voller Schafe zeigen statt das Vlies von unserm guten alten Jakob. Aber welches Kind würde solche Bilder überstehen?

Im März hat die Starköchin Sarah Wiener Aufsehen damit erregt, dass sie in ihrer Kochsendung Kinder der Schlachtung eines Kaninchens beiwohnen ließ. Die Kinder sollten Respekt vor dem Lebensmittel Tier bekommen. Auch hier: lernen, wo die Dinge herkommen. Doch unsere Schlachttiere werden eben nicht einzeln in den Tod gestreichelt. Sie werden in Enge gezüchtet, geraten beim Transport in Panik, haben laut Tierschutzgesetz ein Recht auf Tötung unter Betäubung und sind dennoch oft bei vollem Bewusstsein, wenn es ihnen an die Kehle geht. Wieder einmal übertrifft die Grausamkeit der industriellen Tierhaltung jede pädagogisch vermittelbare "Realität".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

6 Kommentare

 / 
  • N
    Nicole

    "Schafe ueber Bord geworfen" - ich sehe die Kadaver hier (Kuwait) relativ regelmaessig - ob's jetzt Wollschafe waren weiss ich nicht, grausam ist es alle mal :(

    Auf dem Schafmarkt in Mayen habe ich mich mit einem Schaefer ueber die Wollpreise unterhalten und erst da erfahren, wie wenig die Deustchaen Schaefer bekommen und das sich das alles gar nicht mehr lohnt.

    Schade, dass man bei allem, was man heutzutage kauft fuenfmal nachdenken muss, was fuer Konsequenzen der Kauf hat und die Alternativen oft fuer manch einen unbezahlbar sind :-(

  • DR
    Dagmar Reichardt

    Ein fundierter Artikel, Frau Sezgin, mit einem wichtigen Thema, das vor allem eines von uns allen einfordert: mehr Verantwortungsbewusstsein. hessnatur wird zur nächsten Herbst-Winter-Saison seinen Anteil an kbT-Schurwolle weiter ausbauen. Es gehört zu den Wurzeln des Unternhemens und zu unserer Philosophie, Natur und alles Leben zu schützen und respektvoll mit den Gaben der Natur umzugehen. Gerade weil wir ausschließlich mit Rohstoffen, die uns die Natur zur Verfügung stellt, arbeiten, schauen wir genau hin. Was Schurwolle betrifft, sind wir nicht nur bei unserer argentinischen udn australischen Merinowolle hellhörig und streng in den Anforderungen, wir fördern und verwenden auch einheimische Schurwolle. So z.B. die Wolle des vom Aussterben bedrohten Rhönschafes, das im Biosphärenreservat von einem Schäfer über die schrägen Hänge und Wiesen geführt wird. Wir kennen den Schäfer und praktisch jedes Schaf persönlich. Hier können wir auch vor Ort kontrollieren, anleiten und verändern, falls nötig.

     

    Ich sehe die Problematik wie Sie, nur muss die Ursache auch mal weiter gefasst betrachtet werden. Es ist doch vor allem ein Preisproblem! Solange die Masse der Menschen kauft, was billig ist, solange es Anbieter gibt, die diesen Markt bedienen, sind wir alle mit unseren Möglichkeiten begrenzt. Solange sich das Bewusstsein über die Qualität und den Wert von kbT - ob eingeführtes Bio-Siegel oder nicht (man bedenke die Größe des Marketing-Budgets, das dafür nötig wäre)- in der Gesellschaft nicht ändert, solange werden wir eine Nische bedienen.

    Ihr Artikel ist ein Weg, die Wahrnehmung der Menschen zu schärfen. Es sollte mehr davon geben, mehr Menschen, die darüber schreiben und reden und mehr, die danach handeln. Das ist mit ein grund, warum wir mit einem mit viel Informativem und Hintergrundwissen gefüllten Katalog Verständnis für unser Tun und unsere Qualität erreichen wollen.

     

    Hoffnung macht die LOHAS-Bewegung, denn immer mehr Menschen wollen mehr wissen zu den Marken, denen sie ihr Vertrauen schenken. Das macht doch zuversichtlich, dass Themen, wie diese, Gehör finden und letztléndlich über den druck des Konsums auch endlich eins: Veränderung zum Guten.

  • A
    Amos

    Nutztiere können sich nicht gegen den Menschen wehren. Das liegt in ihrer Natur. Der Mensch als "Krone der Schöpfung", (was muss das für ein Hirni

    gewesen sein, der sich diese Phrase hat einfallen

    lassen),hat die Verantwortung für die Natur und damit auch für die geschändeten Kreaturen. Was macht der Nachfahre der Affen-, der schaut eben zu wie ein Affe und nennt sich immer noch: Die Krone der Schöpfung. Der Mensch hat ein Kaputtes Gehirn-,

    er ist mutiert-, weg aus der Natur . Wieso dass so ist, weiß wohl auch der Größte Philosoph nicht.

    Man studiert um mehr Fragen zu bekommen, als Antworten. Was soll sie ganze Scheiße überhaupt

    für einen Sinn haben. - Der Papst weiß es auch

    nicht- auch so dumm wie ein Baum. Nur ein Baum erfüllt eine Aufgabe: Er Ziert die Umwelt und

    produziert Sauerstoff. Die Tiere und die Natur

    brauchen sich. Die Natur braucht den Menschen nicht. Er ist wie ein Fremdkörper im Auge eines

    Riesen.

  • A
    Antonietta

    Allen Lämmern werden die Schwänze kupiert, bei den kleinen Böcken wird eine betäubungslose Kastration durchgeführt oder ihnen werden die Hoden vom Blutkreislauf abgeklemmt. Hunderttausende von Lämmern und Schafen werden zum Schlachten von Großbritannien nach Italien und Griechenland transportiert.

  • YD
    York Ditfurth

    Sehr geehrte Frau Sezgin

    ich bin Geschäftsführer von Animals' Angels. Wir sind mit Teams in Australien und an anderen Orten, an denen millionenfach Schafe verschifft und transportiert werden. Ich danke Ihnen, dass Sie dieses Thema aufgegriffen haben. Leider führt die Unwissenheit über Tierverwertung immer wieder zu "romantischen" Bildern, die durch entsprechende begleitende Maßnahmen der Tiervertungsindustrie geschürt werden. Was für die Wollpulli-Produktion gilt, gilt auch für die Milchproduktion, die von der CMA mit riesigem Werbeaufwand ein völlig verzerrtes Bild zeichnet. Ein Drittel der Kühe in Anbiindehaltung. Kälber kurz nach der Geburt entsorgt (Mastbetriebe/ Schlachthöfe). Zucht von Hochleistungskühen (sog. Qualzuchten) mit einer Lebenserwartung von 5-6 Jahren, dann ausgemustert zum Schlachten wegen nachlassender Milchleistung etc. Wir können Ihnen Bilder, Material und unsere Einsatzerfahrungen anbieten, wenn Sie über dieses Tierelend vor unserer Haustür schreiben möchten.

    Mit freundlichen Grüßen

     

    York Ditfurth

  • AB
    Anna Bergold

    Schön, dass auf die Problematik aufmerksam gemacht wird.

    Aber wie wäre es denn damit, komplett auf Tierprodukte zu verzichten?!