piwik no script img

Kolumne SüdpostKrieg den Muslimbrüdern

Es ist eine Pointe der Weltgeschichte, dass die Golfländer die Gefahr der Muslimbrüder fürchten. Oder anders gesagt: Logik der Unlogik.

Ägyptens Präsident Mursi spricht vor seinen Anhängern Bild: dpa

V or Kurzem erklärte der Polizeichef von Dubai, Dhahi Khalfan, in einem TV-Interview den Krieg gegen die Muslimbrüder. Nicht nur in der Golfregion, sondern egal, wo sie sich befänden, werde er sie vernichten. Der Polizeichef begnügte sich nicht mit dem Versprechen, sie zu bekämpfen, er prophezeite auch, dass sie innerhalb von zwei Jahren aus der Golfregion vertrieben sein würden. Wie er das schaffen würde, sagte er nicht. Die verordnete Ausbürgerung von sieben Bürgern der Vereinigten Arabischen Emirate vor Wochen, denen Bedrohung der inneren Sicherheit und die Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft vorgeworfen wurden, scheint der erste Schritt in diesem Krieg.

Dieser Beschluss, der als Premiere in die Geschichte der Emirate eingehen wird, hatte sein Gleiches vorher in Bahrain. Dort wurde nach den letzten Unruhen mehreren Bürgern die Staatsangehörigkeit entzogen. Der Krieg hat also begonnen.

Zur Erinnerung: Ein Expräsident Ägyptens, Gamal Abdul Nasir, bekämpfte die Muslimbrüder schon in den 60ern. Er ließ ihren Führer Sayyid Qutb hängen, sperrte seine Anhänger ein und nutzte die Arabisierungskampagne in Algerien, um sie loszuwerden. Nach der Befreiung von Frankreich schickte er sie als Lehrer dorthin. Das Ergebnis: Viele der von diesen Lehrern erzogenen Schüler wurden in den 90ern Funktionäre in Fundamentalistengruppen.

Massaker von Hama

NAJEM WALI

ist irakischer Schriftsteller und lebt in Berlin. Er veröffentlichte 2011 den Roman „Engel des Südens“.

Auch Hafis al-Assad, der Vater des heutigen syrischen Diktators Baschar al-Assad, setzte Panzer gegen die Muslimbrüder ein. Das Massaker von Hama mit Zehntausenden Toten machte 1982 Geschichte. Das Resultat dieser beiden Kriege ist bekannt. In Ägypten etabliert sich heute ein Muslimbruder-Pharao an der Macht, während in Syrien seit März 2011 ein blutiger Bürgerkrieg tobt, auf einer Seite geführt unter anderem von den Muslimbrüdern.

Da sich die Zeiten geändert haben oder vielleicht, weil die Vereinigten Arabischen Emirate ein kleiner Staat sind, in dem Nichteinheimische die Mehrzahl stellen, greift man jetzt zu zeitgemäßen Kampfmitteln: der totalen Kontrolle von elektronischer Kommunikation und sozialen Netzwerken.

Das neue Dekret von Scheich Khalifa, dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, ist unmissverständlich. Es sieht eine Gefängnisstrafe für diejenigen vor, die das Internet oder eine andere Informationstechnik mit dem Ziel benutzen, den Ruf, den Respekt und die Würde des Staates oder dessen Institutionen, den Präsidenten oder dessen Vize, die Scheichs der sieben Emirate oder deren Kronprinzen zu schädigen oder die Staatsflagge, die Staatshymne, das Nationalwappen oder irgendein Staatssymbol zu verhöhnen.

Laut Dekret erwartet das Gefängnis auch denjenigen, der via Internet zum Ungehorsam gegen Gesetze aufruft, eine unerlaubte Demo plant, sich dafür agiert oder sie unterstützt. Mit einem Wort: Polizeistaat.

Menschenrechtsverletzungen

Aus der Sicht der arabischen Golfstaaten, die bis vor Kurzem dachten, dass sie von den Brisen des Arabischen Frühlings verschont blieben, ist das verständlich. Sie erleben Volksaufstände, Bahrain, Kuwait und Saudi-Arabien sind gute Beispiele. Das soziale Kommunikationsnetz stellt für sie eine ernsthafte Gefahr dar. Es deckt Menschenrechtsverletzungen und Korruption auf.

Aber kann man auf dem schmalen Grat zwischen Weltöffnung, Export neuer Technologien, Bau eines Opernhauses, Errichtung eines Guggenheim-Museums und der Anordnung von totaler, polizeilicher Kontrolle glaubwürdig balancieren?

Es ist eine Pointe der Weltgeschichte, dass die Golfländer die Gefahr der Muslimbrüder fürchten, die ohne deren logistische und finanzielle Unterstützung niemals zu dieser Stärke gekommen wären.

In diese Logik der Unlogik passt, dass ausgerechnet die Golfländer die syrische Opposition nun mit Waffen und Geld versorgen und sie auch als die einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt haben. Und das, obwohl bei dem Gang der Entwicklung dort ein Teil dieser Opposition von den Muslimbrüdern gestellt wird. Was für eine Heuchelei!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!