Kolumne Riologie: Fremd in der eigenen Stadt
Unsere Autorin ist „Carioca“, eine Einwohnerin von Rio. Doch dort hält sie jeder für eine Ausländerin. Sie hat eine Taktik, um damit umzugehen.
E s vergeht kein Tag in meinem Leben, an dem ich mich nicht wie eine Fremde fühle. Aber das seltsame ist, dass es mir in meiner eigenen Stadt so geht. Die Olympischen Spiele haben mir klar gemacht: Ich bin definitiv eine Gringa-Carioca.
Ich bin nie lange an ein und demselben Ort geblieben oder nur in den Stadtvierteln herumspaziert, in denen ich lebe oder arbeite. Ich empfinde mich als „Rebellin“ und treibe mich gern in allen möglichen Ecken der Stadt herum. Seit ich für Zeitungen und Zeitschriften schreibe, habe ich wohl hundert Mal mehr Straßen, Viertel, Städte, Bundesstaaten und Länder kennen gelernt, als zuvor. In keinem davon gehe ich als Einheimische durch. Auch nicht in Rio.
Vielleicht ist es meine Hautfarbe: sehr weiß. Oder meine Augenfarbe: grün. Womöglich liegt es an meinem Haarschnitt: modern. Oder an meinem Kleidungsstil: lässig. Oder es ist all das zusammen. Jedenfalls muss ich mich nur in eine Bar setzen und schon werde ich von den Straßenverkäufern belagert. Oder ich laufe alleine durch die Straße und hinter mir schleicht ein junger Taschendieb, oft in der Absicht, mich auszurauben.
Aber ich habe gelernt damit umzugehen. Schon seit einiger Zeit schlage ich mich wirklich tapfer. Wenn sich mir jemand auf komische Art nähert, rede ich sofort lauter und flechte in meine Worte Slang und Fehler, wie es für Carioca typisch ist: “Was geht ab, Bruder? Gibts irgendwas? Nix, wa? Na dann, schieb ab, Alter, geh Deinen Weg und ich geh meinen!“
Normalerweise verlieren die Typen dann den Mut und insistieren nicht. Auch während der Olympischen Spiele läuft es nicht anders. Im Gegenteil, ich werde noch stärker „verfolgt“. Sowohl die typischen Cariocas, als auch die volunteers, die bei Olympia arbeiten, sprechen mich auf englisch an. Genauso die Touristen, die ich auf dem Weg zu den Spielen treffe.
Gerade in dieser Woche passierte es wieder. Ich nahm den berühmten Zug an der Bahnstation Central do Brasil, der durchschnittlich 750.000 Passagiere am Tag transportiert, eine Strecke von 270 Kilometer zurücklegt und an 102 Stationen in 12 Gemeinden der Metropolregion Rio de Janeiro hält, also der ärmsten Region der Stadt. Auf dem Weg zum Olympiastadion Engenhão sah ich einen Keksverkäufer, der fragte, wer ihm einen 10-Reais-Schein in zwei Fünfer wechseln könne.
Als sich unsere Blicke trafen, verfiel er sofort in einen englischen Akzent: “Fuuunf! Fuuunf!“ Ich musste handeln: “Was geht, mein Bruder? Ich bin Carioca! Und leider habe ich nur einen 5-Reais-Schein. Den kann ich Dir gegen Deinen Zehner tauschen, wenn Du willst!“ Alle um uns herum lachten über so viel Schlitzohrigkeit dieser kleinen Weißen da. Der junge Mann stammelte nur noch: “Mann, da hab ich mich echt vertan! Die ist ja wirklich eine Carioca!“
Aus dem Brasilianischen Portugiesisch: Sunny Riedel
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