Kolumne Press-Schlag: Die Rückrunde der Vorfreude
Der Ball rollt wieder, und doch bleibt alles ein bisschen langweilig. Jürgen Klinsmann kommt ja erst im Sommer auf die Bundesliga hernieder
Ah, endlich geht es wieder los! Gut, das Rückrundeneröffnungsspiel heute Abend liefert nicht jedem einen Adrenalinschub. Aber warten wirs ab. Man weiß ja nie, und plötzlich führt das winzige Rostock gegen den alle Rekorde haltenden Superverein aus Bayern. Und dann muss in der Pause der Mathematiklehrer ran. Klug und analytisch wird der unvorstellbar erfolgreichste Vereinstrainer der deutschsprachigen Fußballwelt seine superglamouröse Elitetruppe dann auf die zweite Halbzeit einstellen. So von Proffi zu Proffi, wie Ottmar Hitzfeld selbst sagen würde. Gefühlsmäßig eher asketisch. Bisschen langweilig halt.
Weshalb wir nun flugs einen Blick in die Zukunft werfen. Denn wie wir alle wissen, ist der arme alte Ottmar Hitzfeld eigentlich schon Vergangenheit beim FC Bayern München, dem berühmtesten deutschen Verein des Universums. Und wenn wir auch noch nicht wissen, wie sich der ungefähr drei Dutzend Mitarbeiter umfassende Stab des neuen Chefcoaches genau zusammensetzt (für den armen armen Michael Henke ist wohl kein Platz, seinen Co-Trainer-Job bekommt ein Mexikaner aus den USA namens Martin Vasquez), eines wissen wir bereits, denn wir sind ja Sommermärchenfans: So markerschütternd pushen wie Jürgen Klinsmann kann kein anderer auf der ganzen Welt.
Das wird die nach einem harten Champions-League-Spiel mental ausgelaugten Jungs schnell wieder in Wallung bringen, wenn der Trainer sie vorm Pokalspiel gegen einen Viertligisten anschreit: "Uerdingen! Die haben Muffe vor euch!" Und nachsetzt: "Die lassen wir nicht zum Atmen kommen! Heute sind sie fällig!" Und nebenan haben die Krefelder wirklich richtige Angst. Und wünschten, alles wäre schon vorbei oder wenigstens die Wand dicker. Wand, Wand? War da nicht was? Egal.
Stellen wir uns jetzt ein Gastspiel in Cottbus vor (Energie ist selbstredend nicht abgestiegen), und gerade wackelt die Tabellenführung des weltbesten deutschen Vereins aller Zeiten. Aber Super-Klinsmann weiß Rat, zumal ihn das Sorbisch, das er in der Lausitz überall wahrnimmt (er ist ja ein kulturell hoch interessierter Mensch, der rund 20 Sprachen spricht), an einen der schönsten Tage seines Trainerlebens erinnert. Also ruft er aus: "Da brennt der Baum! Das ist unser Spiel. Das lassen wir uns von niemand nehmen! Schon gar nicht von - Cottbus!" Gut, Ribéry und Toni können damit nicht so sehr viel anfangen, aber Schweini und Poldi und so weiter, die visualisieren sofort Dortmund, 14. Juni 2006, und wie dieses Orgasmus-Tor fiel. Als nationale Befreiung nachgerade - okay, lassen wir das.
Jedenfalls hauen sie dann die Polen, tschuldigung Cottbusser weg, und eine Woche später kommt Vizemeister Bremen nach München, aber das ist auch kein Problem. Denn der Trainer hat noch Pfeile im Köcher. Er brüllt: "Die stehen mit dem Rücken zur Wand! Und wir, wir drücken sie durch die Wand!" Genau, das war das mit der Wand. Einst wurden da die Argentinier durchgedrückt, nun Fischköpfe. Andere werden folgen, alle werden furchtbar leiden. So viel Angst verbreitet der Jürgen. Also bei den anderen, ist klar, nicht bei den Bayern. Dort wird der Neue vor allem fachlich was auf der Pfanne haben, tolle Innovationen, entweder selbst ausgedacht oder von einem aus seinem Super-Stab. Aber das ist wie höhere Mathematik, davon verstehen wir nichts, das kann er dann mit fachkundigen Fernsehexperten erörtern, am besten mit Ottmar Hitzfeld. Wäre ja für beide sehr schön. Was wir gern noch wüssten: Der Spieler, der unter Klinsmann Mannschaftsführer des hammermäßigsten Vereins, den ein Freistaat je hervorgebracht hat, werden wird, ob der wohl Capitano gerufen wird?
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