Kolumne Parallelgesellschaften: Es ist nicht nur ein Kuss
Zwei Männer, Hand in Hand in der Öffentlichkeit: Das ist doch kein Problem mehr? Na, dann mal gute Nerven.
Gäbe es einen Wettbewerb namens "Der übelststinkende Homoverächter mit Sendungsbewusstsein unter hauptstädtischer Sonntagssonne", er hätte ihn gewonnen. Jener Typ, der vor zwei Tagen am Homomahnmal am Berliner Tiergarten schwallte und grölte und später auf meine Frage, ob er von irgendeiner "Versteckten Kamera" bestellt worden sei, entrüstet "Det bin ick selbst, wa!" antworte. Ein Unikum, klein von Wuchs, eher teigig in der Kontur, auf dem Kopf eine schwarz-rot-goldene Baseballmütze, die Haare ins Schmutzigweißgraue changierend. Er stand am Blickfenster in der Solostele, schnaufend, und stieß für jeden neuen Besucher wiederholend hervor: "Küssen jeht ja jar nich, ick meine, ist doch eklig, können se doch zu Hause machen, aber nicht in aller Öffentlichkeit."
Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.
Während eine Fahrradtouristengruppe akkurat am Mahnmal eingewiesen wurde ("Ja, das steht auch für Lesben", wie der Ausflugsführer betonte), kläffte der Mann mit den ballonigen Radlerwaden weiter. "Ick meine, vajaasen, det war nicht okay, aber Mann und Frau, da ist doch nüscht zu ändern, det ist doch schick, wa, aber nich Mann und Mann. Ick bin ein Mann" - einige guckten bei diesem Satz irritiert - "und guck nur nach die Frauens." Wie ein Parodist eines stoßseufzenden, aber öffentlich ja nicht mehr erörterten Bewusstseins.
Aber so einer wird selbstverständlich nur ausgelacht, auf dieser Fläche gegenüber dem Holocauststelenfeld, wo zehn Minuten später eine schwäbische Mutter ihre Kinder ermahnte, doch nicht Fangen zu spielen zwischen den Betonklötzen, "weil doch tausende, nicht wahr, Juden umgebracht wurden", aber die Kinder tollten weiter, und Architekt Peter Eisenman hätte seine Freude gehabt. Am Homomahnmal jedenfalls ist natürlich alles für Homos ein Heimspiel. Da kommen die rasenden Kleinbürger auf dem Fahrrad - aber es gibt eben keinen Applaus, denn zu diesem Gedenkstein pilgern meist nur die Eingeweihten, Männer und ihre Männer, Frauen und ihre Frauen, sie gucken und knipsen. Liebesfotos, Erinnerungsschüsse, ein würdiger Ort. Jeder Irre und Wirre nervt vielleicht, aber hinterlässt keine Spuren im Spiel: Was darf sich die Mehrheit, dürfen sich die Heteros herausnehmen, um eine Minderheit einzuschüchtern?
Entsprechend provoziert es, wenn ein CSD wie der in Berlin am 28. Juni unter der Überschrift "Hass" steht. Fragen sich nicht gleich auch Sie, ja, Sie, ob das nicht ein wenig übertrieben ist - Hass? Ist der nicht out? Ich würde sagen, nein. Hass, das klarste Wort, wenn man Vokabeln wie Aversion oder Ekel nicht verwenden möchte, ist im Spiel, wenn zwei Männer einige Zentimeter zu nah aneinander gehen und giftige Blicke ernten, egal ob in Neukölln, in Marzahn, in Reinickendorf oder in Pankow. Überall Kneipen, vor denen Männer sitzen, die "Schwuchteln" rufen oder lachen, wenn sie zugleich "Die kriegen wir noch im Dunkeln" ausrufen. Oder wenn vor einem Café drei Männer und eine Frau wie Hohe Richter sitzen und zwei Männer als "krank" bezeichnen, "denen man die Eier abschneiden soll". Ach, die sahen wohl aus wie Tunten? Sahen sie nicht.
Jedenfalls waren die beiden eher männlicher als die Kommentatoren. Aber sie unterschieden sich doch. Sie sahen aus, als würden sie sich gleich küssen. Wie Heteros das in verliebter Lage auch täten. Aber diese Berührungen wecken offenbar beim Hetero, der durch keine ideologische Spülmaschine der tolerablen Korrektheit musste, das, was durch keinen Respekt mehr abgedeckt wird. Die beiden Männer, die diese Szenen aus ihrem Sonntagsspazierleben erzählten, sagten couragiert, "so ist die Welt, man darf sie sich nicht nehmen lassen", aber insofern ist das Motto des Berliner CSD mit "Hass" doch perfekt gewählt. Es enthüllt die wahre Währung, um die es geht, wird Schwules oder Lesbisches nicht nur als theoretisches Statement gelebt. Ich meine: Um Theorie geht es doch nie, oder? Sondern um Praxis. Also ums Küssen. Wie beim Mahnmal. Das manchem Unbehagen bereitet. Und das, nun ja, ist doch allerbestens zu verstehen, oder?
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