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Kolumne ParallelgesellschaftAngst essen russische Seele auf

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Wenn man aus Moskau wieder nach Hause kommt, findet man deutsche Polizisten umgänglich, freundlich und sogar gut.

Bild: taz

Jan Feddersen ist taz-Redakteur.

Es ist ja nicht so, dass Moskau nicht beeindrucken würde. Der Kreml - viel größer als in den Nachrichten gezeigt; der Rote Platz - doch recht weitläufig; die U-Bahn-Station - wahnsinnig weit unten, der Verkehr - pünktlich. Und, ja, die Russen können das, eine Veranstaltung wie den Eurovision Song Contest so zu organisieren, dass man hinterher nur Prädikate wie toll, groß, teuer, klasse als Urteil wählen möchte. Und, ja, Menschen wie Natascha, Andrei oder Tamara kennen zu lernen war ein echter Gewinn. Aber der Rest, der bleibt, guckt man auf das Kleingedruckte? Mies. Klein. Bedrohlich. Furchterregend.

Warum? Was soll man davon halten, wenn an einem Sonnabend der Rote Platz gesperrt ist und von tausenden Polizisten und sonst wie Uniformierten gesäumt wird, die fast alle aussehend wie Schläger, finster und eingreifbereit? Was sie, so erfährt man, verhindern sollen - und wollen -, dass an einer kleinen Ecke zwei Kilometer vom Kreml entfernt ein Häuflein von Männern und Frauen etwas tun wollen, was sie CSD nennen? Was, wenn man dies gewahr wird und dies für ein Missverständnis hält, denn dieses ganze drakonisch anmutende Heer an Ordnungswilligen ist wirklich nicht in Bereitschaft, ein Jüngstes Gericht oder wenigstens ein russlandverschlingendes Feuer zu verhindern und zu löschen?

Wie kann man gut über ein Land reden, wie es neulich der offenbar vorsätzlich ahnungslose Wladimir Kaminer in der ARD tat, das so homophob ist wie es hierzulande, in der Heimat, nicht mehr fantasierbar ist? Moskau - eine Stadt, in der, wie es das Klischee will, fette Schlitten angeberisch gefahren werden; in der junge Frauen gerne ihre dürren Körper vorführen - auf den allerhöchsten Absätzen. Aber sind diese Szenen schon der Beweis, dass Russland doch okay ist? Sind sie der Beleg für eine russische Seele, die man nicht ergründen könne? Kann sein. Das ist offenbar die Gemütlichkeit von Menschen, die über ihre selbst verübte Gewalt in Tränen ausbrechen.

Muss man, anders gefragt, über alles hinwegsehen, über dieses Klima der Einschüchterung und Bedrohung, über all die eingreifbereiten Polizisten auch tagsüber, die einen sofort ohne Angabe von Gründen kassieren können, wenn es ihnen zu passen scheint? Und muss man dauernd reflektieren, dass es ja bestimmt mit Kapitalismus zu tun habe, mit den Spätfolgen von Zarentum und Stalinismus?

Muss man nicht. Es reicht mir das Gefühl, dass dieses Land offen sichtbar Torturen zu exekutieren droht und die Bereitschaft anzeigt, Bürgerrechte wie die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu verletzen. Es langt, dass mir das in Finnland, Kanada, Portugal oder, ja, in meinem Land nicht so geht.

Und es schmerzt, dass nach meinem Blick die allermeisten RussInnen sich fügen, sich fügen müssen. In Berlin, am Flughafen Tegel, in der Schlange vor den BeamtInnen, die unsere Pässe kontrollieren. Sie lächeln freundlich. Sie haben ihre Regeln. Sie dürfen sie nicht verletzen, jeder weiß das, sonst droht ihnen Ungemach. Ich bin wieder zu Hause. Ist es nicht seltsam, dass mir selbst ein Wolfgang Schäuble, unser Innenminister, wie ein Verteidiger der Freiheit vorkommt?

JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT

Was denken Sie über Russland? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Reinhardt Katastrophen

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

7 Kommentare

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  • UR
    Udo Radert

    Sehr guter Artikel.

     

    Informativ, EHRLICH und - was mir besonders gut gefällt - selbstkritisch, wenn auch nicht vordergründig. Aber das macht ihn nur umso glaubwürdiger.

     

    Ach so - und der Artikel ist natürlich auch noch parteisch. - Nicht für Putin, nicht für das "offizielle" Russland, wohl aber für die, deren ohnehin schon schwache Stimme gerade hier bei uns in Deutschland und auch gerade bei den angeblich "linken" Apparatschiks aus ideologischen Gründen nur allzugern überhört wird.

     

    Gebe es mehr davon, würde ich mir sicher sogar mal die Print-Ausgabe der taz kaufen.

     

    Gut - in der Gegend, wo ich wohne, müßte ich sie dann vielleicht in der "BILD" verstecken aber mit etwas Glück wäre es jedenfalls sicher möglich, sowohl die Zeitung, als auch mich unbeschadet nach Hause zu bringen... ;-))

  • PV
    Peter Voßwinkel, Moskau

    Spießiger geht´s wohl nicht? Das ist primitiver Boulevardjournalismus.

  • B
    Benz

    Lateinamerika, Afrika, die islamische Welt, Japan, Korea, China, ganz Asien: Ueberall sind Werbeveranstaltungen für Schwule im öffentlichen Raum undenkbar. Auch in Russland. Eine Schwulendemo ist in Moskau genauso undenkbar wie sie es in Mexiko City, Shanghai oder Dubai wäre- Moskau ist da in guter Gesellschaft einer ganzen Reihe von Weltmetropolen.

     

    Wir sollten vielleicht mal akzeptieren, dass der Westen nicht das Mass aller Dinge ist.

  • M
    max

    sicher ist es in Russland oder der USA schlimnmer als hier-aber: auch hier können einen Polizisten zb. einfach so auf demos nach lust und laune verprügeln (und wer glaubt, dazu müssten erst steine fliegen hat keine Ahnung). Ob dir die "Verfassungsmässigkeit" dann groß was nützt, möcht ich mal dahingestellt lassen. Bei der Totalobservierung von demos wird die Meinungsfreiheit ja eh mit den Füßen getreten. Aber auch hier werden wir, O Glück! bald wieder innerhalb der Verfassung sein. Neues Versammlungsgesetz her und schon ist das ok.

  • RK
    Ralf Kurzyna

    "... Es langt, dass mir das ... in meinem Land nicht so geht... Ist es nicht seltsam, dass mir selbst ein Wolfgang Schäuble, unser Innenminister, wie ein Verteidiger der Freiheit vorkommt?"

     

    Meine Güte...

    Ganz bestimmt sind Russland oder die USA keine echte Alternative, aber wer die politischen Vorgänge in diesem Land verfolgt, kann nicht so blauäugig sein. Oder etwa doch?

  • J
    JoJO

    Ich kenne dieses Gefühl! Man kommt aus einer anderen Kultur zurück nach Deutschland und ist auf einmal versöhnt, sieht die Dinge in einem anderen Licht und erkennt Vorzüge, die man vorher für völlig selbstverständlich gehalten hat.

    Ich war als 16jähriger als Austauschschüler in Iowa, USA und das war der Kulturschock meines Lebens, obwohl ich selbst aus einem niedersächsisch-ländlichen Theologen-Haushalt komme.

    Bei meiner Rückkehr nach Deutschland spürte ich fast so etwas wie patriotische Gefühle, gar nicht mal so sehr auf Deutschland bezogen, sondern auf den "europäischen Kulturraum" insgesamt.

     

    Und was die Rechtsstaatlichkeit angeht, so konnte ich immer nur den Kopf schütteln, wenn ich auf Antifa-Demos die Parolen "Polizei SA SS" gehört habe. Davon kann bei uns wirklich - zum Glück! - keine Rede sein. In Russland bin ich mir da nicht so sicher und selbst in den USA ist es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht weit her, zumindest wenn man irgendwo als "Terrorverdächtiger" von CIA-Jungs aufgegriffen wird.

  • D
    denninger

    Hi Jan, Du fragst Dich: "Ist es nicht seltsam, dass mir selbst ein Wolfgang Schäuble, unser Innenminister, wie ein Verteidiger der Freiheit vorkommt?"

    Nein, das ist nicht seltsam. Auch wenn man manche Programme des Bundesminister des Inneren als Einschränkung der persönlichen Freiheit ansehen kann so steht er, anders als einer seiner Vorgänger, nicht über dem Grundgesetz und weis, dass er "den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen muss". Über seine Programme kann man streiten. Aber dass er das Grundgesetz als oberstes Gesetz anerkennt ist unbestreitbar.

    Und dass eben dieses die Möglichkeit bietet, als Bürger gegen verfassungswidrige Gesetze Verordnungen und Erlasse juristisch vorzugehen ist der Sinn der Verfassung.

    Ob die Regierung sich immer innerhalb der Verfassung bewegt sei einmal dahingestellt. Die muss sich aber an der verfassungmässigkeit ihres Handelns messen lassen.