Kolumne Overseas: Auf Schnäppchenjagd
Wer den Geiz lobt, muss auch mit anderen Konsumformen vertraut sein: mit dem Sonderangebot beispielsweise.
M it einem Satz wie "Stinginess is cool", der Übersetzung von "Geiz ist geil", kann man jenseits des Atlantiks nichts anfangen. Was soll das heißen, würden sich Amerikaner fragen. Denn wer den Geiz lobt, muss ja eine andere Form des Konsums kennen. So was wie "Qualität hat halt ihren Preis" oder: "Ich unterstütze die heimische Qualitätsindustrie und kaufe nicht Made in China."
Adrienne Woltersdorf (40) berichtet seit 2005 für die taz aus Washington. Faszinierend an den USA findet sie, dass sich alle Vorurteile bestätigen lassen - und zugleich widerlegen.
Kurz nach meiner Ankunft in der neuen Heimat USA machte ich meine Vorstellungsrunde bei den deutschen Kolleginnen und Kollegen. Jeder gab so seine Survival-Tipps, den wertvollsten Hinweis gab der US-erfahrene Mitarbeiter einer hier nicht näher genannten deutschen TV-Anstalt. "Kauf, wenn es billig ist, nicht, wenn du was brauchst!", hatte er mir eingeschärft. Das war anfangs natürlich wenig hilfreich, schließlich brauchten wir bei unserer Ankunft allerhand Dinge vom Adapter bis hin zur US-genormten Bettwäsche. Wir waren in die Washingtoner Innenstadt gefahren und hatten dort am ersten Tag ausgiebig eingekauft. "Völlig blöd", wurden wir von den ersten amerikanischen Bekannten später ausgelacht. Natürlich hätten wir raus auf die grüne Wiese steuern müssen, um dort nach Sonderangeboten zu suchen. Davor hätten wir die Samstagszeitungen abwarten und die 1,5 Kilogramm Prospektebeilage nicht wegwerfen, sondern minutiös studieren, die Gutscheine und Rabattbons ausschneiden, nach Shoppingzentren sortieren und erst dann losfahren sollen. Wir argumentierten zaghaft, dass wir mit unserem teuren Einkauf aber ein in die roten Zahlen geratenes altes Traditionskaufhaus namens "Hechts" in der Washingtoner Innenstadt unterstützt hatten, was stadtentwicklungsmäßig gedacht doch eine gute Tat sei. Das machte uns vorläufig zu völligen Losern.
Wie kann man in ein untergehendes Unternehmen, noch dazu in der Innenstadt, investieren, ging es ihnen wohl durch den Kopf. Es sei höchste Zeit, dass der olle Ramschladen im sechsten Jahrzehnt seines Bestehens endlich untergehe, denn er biete eindeutig zu wenig "Sales" an, also Sonderangebote, hörten wir von den Freunden und lasen wir in den lokalen Blättern. Das Kaufhaus ist mittlerweile verkauft an eine omnipräsente US-Kette namens "Macys", was alle begrüßen. Nun gibts dort im alten Gebäude wieder Sonderangebote rund um die Uhr. Denn "Sales" sind der Normalzustand der US-Warenwelt. Selbst Bestseller wie der letzte Harry-Potter-Band kommen schon mit 60 Prozent Preisreduktion auf den Markt. Wer da noch bereit ist, voll zu bezahlen, dem ist, sorry, nicht mehr zu helfen. Das haben wir verstanden. Geiz ist also nicht geil, sondern ein Beweis für Dummheit. Noch billiger einkaufen ist also noch cleverer.
Natürlich bin ich auch clever und gehe längst nicht mehr los, nur weil ich etwas brauche. Dass die Freundin, Abteilungsleiterin im State Department, gerade wieder drei paar Cowboystiefel in Pink und Türkis bei "Marshalls", die US-Antwort auf "Rudis Reste Rampe", für einige Bucks ergattert hat, ist demnach eine völlig bürofähige Information. Höchstens trumpfen Kollegen dann mit ihren Schnäppchen auf, peinlich ist das keineswegs. Ach, wie schnell habe ich meine altweltlichen Überzeugungen fahren lassen. In Berlin habe ich noch die überhöhten Preise im Kiez bezahlt, nur damit der nette Käse- oder Weinhändler sein Auskommen haben und meine Nachbarschaft von monopolistischen Kettenläden verschont bleibt. In Washington mache ich mir keinen Kopf mehr um die Verödung der Innenstadt. Dort herrschen längst "Starbucks" und das Unterhosen-Imperium "Victorias Secret", was kann ich da als kritische Konsumentin noch retten?
Neulich aber kam eine Freundin in auffallend geschmackvoller Kleidung daher, die sie in einer kleinen Washingtoner Boutique gekauft hatte. "Es war aber Ausverkauf", versicherte sie ungefragt und in offensichtlicher Besorgnis, für das Gegenteil einer Smart-Shopperin gehalten zu werden.
Echt okay, fanden die Umstehenden dann, die Boutique war schließlich gerade pleite gegangen. Zu wenig Sonderangebote.
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