Kolumne Overseas: Babelfisch in Superbowle
Wie es sich der Amerikaner so richtig gemütlich macht: mit einer Lederlinse statt mit einem Ball, beispielsweise.
Adrienne Woltersorf ist USA-Korrespondentin der taz mit Sitz in Washington.
Auch wenn ich es längst wieder vergessen hatte: Die litfaßsäulengroßen Chips- und Sixpack-Berge im meinem Supermarkt haben mich am Wochenende daran erinnert, was nun kommt: Der Superbowl. Das ist das meines Wissens nach wohl einzige sportliche Großereignis des Jahres, dessen Techniken meist unmittelbar am Ort der Proviantierung angewandt werden müssen. Denn wenn die Menschen in meiner neuen Heimat auch sonst sehr freundlich sind. Beim Run auf die Zutaten für die Superbowl-Sofaparty hört alles auf. Im Shoppingparadies wird schwer gedrückt und strategisch geschubst, denn jeder der als soziales Wesen etwas auf sich hält, muss Knabberzeug und Grillkohletüten ergattern. Und da wie in der Sowjetunion die Nachfrage oft größer ist als der Nachschub, sieht man schon mal Kunden mit dem letzten Bierfässchen unterm Arm durch die Trauben der herbeiströmenden Kunden Richtung Kasse stoßen.
Die Rede ist natürlich vom amerikanischen Fußball. Nein, den darf man eben nicht so mir nichts, dir nichts "Rugby" nennen! Also der Fußball eben, der mit der Hand gespielt werden darf. Bei dem, wohl wegen der intensiven Beinarbeit, vor allem der Kopf und die Schultern mit dicken Polstern geschützt werden. Und bei dem der "Ball" natürlich eine voluminöse Linse ist. Und bei dem das Grasfeld selbsterklärend "Gridiron" also Grillrost" heißt. Dazu gibt es traditionell dann gepflegte Sofa- und sogenannte Tailgate-Parties, bei denen man hinten am Autokofferraum stehend trinkt und grillt - wofür man zuvor beim Campingausrüster ebenfalls die Lager gestürmt hat, um einen der schicken Klappstühle mit eingebautem Radio, Sonnendach und Bierhalter zu erobern. Schließlich weiß der Amerikaner es sich überall wie zu Hause zu machen.
Mit American Football verhält sich das so wie mit den Milliarden und den Billionen. Aus Freude an der Begriffsverwirrung? Oder weil die frühen europäischen Auswanderer auf der langen Überfahrt über den Atlantik mit dem schweren Vitamin-C-Mangel verschusselten, nannten sie den altenglischen Rugby "Football". Unseren Fußball dafür "Soccer". Und unsere Milliarden Billionen. Wie kann man da noch guten Gewissens von einer transatlantischen Wertegemeinschaft reden, frage ich mich?
Falls Sie gedacht haben, dass das "XXL-Mega-Ereignis des Jahres" etwa die US-Wahlen sind, dann möchte ich hier ganz offiziell wetten, dass zu den heute Abend stattfindenden Vorwahlen landesweit weniger transfett-freie Chipstüten verkauft werden, als beim Mega-Superbowl am Sonntag. Zu dem TV-Raufereignis sollen rund 150 Millionen Zuschauende geschaltet haben, was so ungefähr die ganze angeschlossene USA ist. Weil die andere Hälfte ohnehin gerade in der Rezession Haus und Fernseher an die Kredithaie verloren hat oder in irgendeiner Mall Leute über den Haufen schießt. Die nervenzerfetzende Kuscheldebatte zwischen Hillary Clinton und Barack Obama letzte Woche jedenfalls bekam zwar sensationelle Quoten, aber gerade mal 8,3 Millionen Zuschauende.
Jedenfalls stelle ich mir vor, dass das wüste Geschiebe zwischen den New York Giants und den New England Patriots mitten ins Herz der Nation trifft, weil es so herrlich das ist, was sich waschechte Republikaner unter Amerika vorstellen. Wie mir nämlich eine junge Mutter in South Carolina erst neulich erklärte, wo ich wegen der Vorwahlen zu Besuch war, "bedeutet das echte Amerika, Ärmel hochkrempeln und ran an die Sache, niemand sollte sich uns in den Weg stellen!"
Schon gar nicht Leute, die sich für Gedöns und Steuern interessieren, wie die Café Latte schlürfenden Demokraten. Die junge Frau war überdies der festen Überzeugung, dass Progressive wie Hillary Clinton eine US-Spielart des Kommunismus oder Faschismus vertreten. So genau wusste sie das gerade auch nicht, da ihr kleiner Sohn die Limo verschüttet hatte. Was mir dann doch wie das alte Problem mit "Football und Soccer" oder "Milliarden und Billionen" vorkommt. Irgendwie ist da im Atlantik der Babelfisch drinne, oder?
Adrienne Woltersdorf
OVERSEASFragen zu XXL-Mega? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE
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