Kolumne Overseas: Vorsicht! Sympathischer Strahlemann
US-Demokrat Barack Obama hat auch gewonnen, weil er die Presse kontrollierte - ganz undemokratisch.
Vorne, auf der Bühne, da steht der neue, eben frisch gewählte US-Präsident. Er ist smart, er ist schwarz, er ist der Neuanfang. Alle jubeln und hoffen, dass nun ein neues Kapitel beginnt. Doch wir, hinter der Absperrung, wissen, dass da, wo Wandel draufsteht, nicht unbedingt alles anders wird. Ich rede von der perfekten Wahlkampagne, die Barack Obama zweifelsohne bis ins Weiße Haus gebracht hat. Dass der Wandel mit einer wilden Entschlossenheit einhergeht, alles und jeden zu kontrollieren, dass wurde mir und den anderen Kollegen im Laufe der Monate ganz sonnenklar. Denn anders als bei den republikanischen Veranstaltungen, wo es hübschere Namensschildchen und wenig funktionierende Organisation gab, gab es bei Obamas Leuten für uns von der Presse meist wenig zu hoffen.
Adrienne Woltersdorf ist USA-Korrespondentin der taz.
Schon ganz am Anfang, als wir alle noch dachten, hey, hier ist dieser sympathische Strahlemann Obama, da gehen wir doch mal im Kampagnenbüro vorbei und trinken eine Tasse Kaffee und quatschen ein bisschen, waren wir schnell baff. Einfach so mit jemandem reden kam da nämlich nicht infrage. Nee, da muss ich erst meinen Vorgesetzten um Erlaubnis fragen, sagte mir bei meinem ersten Anlauf im Januar in Iowa so ein Rastalockenträger. Oder: Nein, wir Freiwilligen dürfen nicht mit der Presse sprechen. Auch nicht darüber, warum Sie persönlich hier so mitmachen? Nein. Dabei musste es auch so gut wie immer bleiben.
Für die teils horrenden Sicherheitsvorkehrungen habe ich noch Verständnis. Schließlich ist der Mann, ein Blick in die amerikanischen Geschichtsbücher reicht ja, gefährdet. Und dass irgendein Wahnsinniger ihn auf dem Kicker hat, das ist wohl wahrscheinlich. Jedenfalls nahmen wir ohne großes Murren Taschenkontrollen und die Überprüfung unserer polizeilichen Daten in Kauf, wenn wir zu den Obama-Veranstaltungen wollten. Ich fand es zwar komisch, dass ich manchmal meine Tasche - wie hunderte andere Kollegen die ihren - aufmachen und in Reih und Glied auf dem Boden aufstellen sollte. Wir mussten dann stets die Halle wieder verlassen, damit die Polizeihunde in Ruhe schnüffeln konnten. Aber das war noch o.k.
Richtig nervig sind die Obama-Graswurzelbewegten immer dann, wenn sie voller Inbrunst damit anfangen, die schöne neue Welt mit Leben zu füllen. So wurde ich gemeinsam mit einem Dutzend anderer Zeitungsreporter in South Carolina von einer 18-Jährigen mit erhöhtem Puls in einer Sporthalle, in der Obama gleich auftreten sollte, von einer halb leeren TV-Tribüne gejagt. Einfach weil, nun ja, weil wir eben nicht vom Fernsehen waren. Alle Hinweise, dass die Bühne leer sei und wir von hier aus besser arbeiten könnten, ließen sie unbeeindruckt. Kurzerhand rief sie, die ein Obama-T-Shirt mit dem Aufdruck "Change. We can believe in" trug, den Sicherheitsdienst. Der kam dann breitbeinig und mit Glatze, und uns war klar, dass hier das Ende der Debatte ist, bevor sie richtig losgegangen war.
Diese seltsamen Anfälle von autoritärer Herrschsucht, vorwiegend exekutiert von beseelten jungen Freiwilligen, wiederholten sich von Wahlveranstaltung zu Pressekonferenz und verdichteten sich mir langsam zum Zerrbild der roten Garden. Oder so. Wenn ich etwas wissen wollte, riefen diese revolutionären Kids ihre Vorgesetzten an - oder verwiesen mich stramm an das Obama-Hauptquartier in Chicago - das nie zurückrief.
Das Ganze gipfelte bekanntlich in der historischen Nacht von Chicago. Während die Zuschauer wie gebannt auf die aufgestellten Großbildschirme starrten und dort die Wahlnacht bei CNN verfolgten, mussten wir Journalisten, durch Zäune und Ordnungskräfte abgetrennt, wie die Windhunde auf unseren Einsatz warten. Erst nach stundenlangem Anstehen bekam ich schließlich für 20 Minuten die Erlaubnis, in die Menge zu stürmen und dort Menschen nach ihrer Stimmung zu befragen. Während ich meine Interviews machte, stellte sich auch noch ein Obama-Helfer neben mich und passte auf, dass ich nicht länger als die mir zugewiesene Zeit meine Arbeit machte. Zurück an der Einlassstelle, schnaubte ich wütend eine der freiwilligen Helferinnen, eine Mutter aus Chicago, an, was diese alberne Organisation solle. Die schaute mich groß an: "Wir wollen doch nicht, dass Sie einfach so mit den Leuten sprechen. Das sind Freiwillige. Wer weiß, was die ihnen erzählen."
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