Kolumne Overseas: Wer out ist, muss gehen
Andere Pizzen, Urlaub auf der Achse des Bösen, flüchtende Republikaner: In den USA beginnt eine neue Epoche.
Change is coming to America", hatte Barack Obama mir und der Welt in der Siegernacht in Chicago versprochen. Dass dem wirklich so ist, daran zweifle ich längst keine Sekunde mehr. Der erste Beweis kam gleich zwei Tage nach der in die Geschichte eingehenden Wahl. Als ich, völlig übernächtigt, morgens in meinem Papp-Motel zum Papp-Frühstücksbuffet schlurfe, den Pappbecher mit dem bräunlichen Wasser namens "Gourmet Coffee" in der Hand, glaube ich zunächst an eine optische Täuschung. Doch, tatsächlich.
Adrienne Woltersdorf ist USA-Korrespondentin der taz.
Da lag die US-Tageszeitung USA Today, nicht gerade als Hort der Buh-Kritik bekannt, und warb mit Ungeheurem: "Iran - herzliche Begegnungen mit einer alten Kultur"! Ich musste mich setzen. Okay, dachte ich, wenn jetzt - wie die Zeitung freudig erregt berichtete, als sei nichts dabei, in der Hölle der Mullahs Urlaub zu machen -, wenn jetzt also US-Rentner, die die Botschaftsbesetzung in Teheran bis eben nie zu verzeihen versprachen, plötzlich als Pauschaltouristen ein Zimmer auf der Achse des Bösen buchen, dann ist ab jetzt wirklich ein neues Zeitalter angebrochen.
Mengiste von der äthiopischen Umzugswagenfirma in meiner Stadt Washington braucht jedenfalls nicht erst die USA Today lesen, um zu wissen, dass der Change gleich kommt. In Erwartung eines fetten Jahresendbooms in seiner kleinen Verleih-Firma raucht er schon mal genüsslich eine Erdbeerkrautzigarre und beschreibt das, was jetzt anhebt, so: "Republicans out, Democrats in", und zeigt dabei auf seine Umzugswagen. Er meint natürlich das fluchtartige Verlassen der US-Hauptstadt durch die Republikaner. Und die stampedeartige Ankunft der Demokraten. Mengiste, der hier schon länger lebt, sagt lächelnd: Wer "out" ist, muss umziehen. Und tatsächlich stehen überall vor Washingtons viktorianischen Reihenhäusern Umzugswagen, in die deprimiert aussehende junge Männer und Frauen, Kongresspersonal, Assistenten, Kofferträger, Loser, ihre Habseligkeiten packen.
Meine Freundin Sabine, die schon länger vorhatte, umzuziehen, hat sich nach der Wahlnacht schnell entschlossen eine Wohnung gesucht. "Bevor die Demokraten kommen", heißt es jetzt immer. Kein Wunder, jedes Mal, wenn der Mann im Weißen Haus wechselt und der Kongress neu gewählt wurde, werden so ungefähr 40.000 Leute in Washington mal eben gefeuert. Ihre Stellen nehmen ebenso viele hoffnungsfrohe junge Menschen ein, die aus der Provinz angebraust kommen, um ab jetzt die Welt zu regieren. Wer politisch out ist, dem winkt nun der long way home, bleiben darf nur, wer verbeamtet oder scheintot ist.
David, ein Bekannter aus dem State Department, freut sich ausnahmsweise einmal, dass er noch zu jung und unbedeutend ist. Er ist kein Beamter, sondern einfach Verwaltungs-Azubi in der so großen wie bedeutungslosen Abteilung "Kanada". Man wird ihn bei der Entlassungswelle auf jeden Fall übersehen, ist er sich sicher. Und reibt sich die Hände. Er hat erst vor kurzem geheiratet und eine Wohnung anbezahlt. Noch fehlt ihm das Nötigste - vor allem das Geld -, um sich standesgemäß einzurichten. Aber wart mal ab, sagt er, "bis die Demokraten kommen". In den letzten Tagen hat er einem geschassten Mitarbeiter eines republikanischen Abgeordneten schon einen dänischen Designertisch für 170 Dollar abgekauft. Einer republikanischen Abteilungsleiterin eine top Ledercouch für nur 600 Dollar und einen stinkkonservativen Referenten für schlappe 80 Dollar um sein 12-Gang-Sportrad erleichtert. Mit dem ist er bisher sonntags den Washingtoner Rockcreek-Park hoch und runter gerast. Das wird er jetzt nicht mehr brauchen. Der Mann kommt aus South Dakota. Da weht der Wind so stark, da fällt sogar ein Dreirad um. Jeden Morgen checkt David die Inserate und düst dann mit seinem Motorroller zu den angegebenen Adressen, um sich das herauszupicken, was abziehende Rechte nicht mitnehmen können.
Letzte Woche war ich bei Amedeo, meinem Lieblings-Italiener, der passable Pizzen backt. Als ich eine bestellen will, sagt er: "Oh, scusi, nix Pizza!" Alles wird hinter dem Tresen neu gemacht, vor allem der Backofen. Ab Januar will er andere Pizza machen, erklärt Amedeo. "Chicago-Style!" Das möge Obama lieber. Ich muss also warten, sagt Amedeo. "Bis die Demokraten kommen".
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