Kolumne Ökosex: Humor im Jahr 2010
Ohne Humor macht das ganze Klimagedöns keinen Spaß.
B ekanntlich ist 2010 das internationale Jahr des Nackttanzes. Da passt es gut, dass das Passivhaus mit seiner großräumigen Dreifachverglasung, der architektonischen Transparenz und dem geringen Wärmebedarf für die Freunde des Nackttanzes eine interessante bauliche Option darstellt. Gerade im Passivhaus können diese ihr herrliches Hobby in Zeiten des Klimawandels klimaneutral und gesellschaftlich verantwortbar ausüben.
Das war jetzt natürlich Spaß. Aber auch heuer geht es darum, im Rahmen der solaren Effizienz die Lacher auf unserer Seite zu haben. Ohne Humor macht nämlich das ganze Klimagedöns keinen Spaß. Emissionen senken, Frohsinn schenken! Die Faustregel für die Freunde des Ökosex Klimaclubs ist ja folgende: Bis Ende 2010 wollen wir unsere CO2-Emissionen im Bereich Sprit, Wärme und Strom um 50 Prozent senken und den Ausstoß von Klimaschutzwitzen um 50 Prozent erhöhen. Apropos: "Steigt die Kanzlerin aus dem Steinzeit-Audi (260 g/km CO2) und sagt: Ich unterstütze den Bau neuer Kohlekraftwerke, weil Klimaschutz eine Jahrhundertaufgabe ist und 90 Jahre bleiben …"
Huhu! Humor wird 2010 umso wichtiger, da wir nach der politischen Offenbarung von Kopenhagen in die entscheidende Phase des Klimakulturkampfes eintauchen. Viele Etatisten, die sich eher einem politischen Spektrum zugehörig fühlen "formerly known as linksalternativ", haben mir und meinem großen Bruder E-Mails geschrieben und sie schreiben etatistische Kommentare. Sie behaupten, wir - also die Verfechter eines gesellschaftlichen Kulturkampfes - würden durch unser unpolitisches Hoffen auf den Konsumenten und Bürger doch nur die Privatisierung des Klimaschutzes betreiben. Damit würde die Politik entlastet und vom eigentlichen Versagen staatlichen Handelns, also der Politik und der PolitikerInnen, abgelenkt. Manche finden sogar, ein richtiges Plusenergie-Leben im falschen sei gar nicht möglich, wegen Kapitalismus und ungebremstem Wachstumsfetischismus. Es bleibe: "Lohas-Gewichse". Am Ende der E-Mails lassen sie uns wissen, dass sie darum auch leider ihre eigenen Emissionen nicht um 50 Prozent senken könnten, wegen systemischer Fehlallokationen bzw. ihres Vermieters oder des Flötenunterrichts der Kinder. Eine Etatistin aus dem nächsten Familienkreis schießt den Vogel ab. Sie ist sogar nicht in der Lage, unser fröhliches gesellschaftliches Tempolimit von 117 km/h auf der Autobahn zu zelebrieren (auf der linken Spur). Sie brauche dazu staatliche Regulierung.
Martin Unfried, Jahrgang 1966, arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.
Aber, aber liebe Etatisten. Lasst uns doch einander die Hände reichen. Wer sagt denn, wir unterschätzen die Politik? Aber nein. Natürlich ist es schlimm, dass Autos über 110 g/km CO2 nicht verboten sind. Natürlich wäre ein 150-jähriges Moratorium für den Bau von Kohlekraftwerken politisch notwendig. Natürlich sollte bei schweren Vergehen wie "Fernseher auf Stand-by" das Strafgesetzbuch greifen. Aber die Politik ist bekanntlich ein Hasenfuß in Deutschland, ein Gänsefüßchen im Wind. Darum sagt kein Politiker: "Ein Windrad ist eine Rose ist eine Rose."
Wenn aber plötzlich der Mainstream, der Stammtisch und alle Spiegel-Chefredakteure zusammen meinen: "Ein Windrad ist schöner als Porsches Carrera und anmutiger als die Präsidentengattin Carla Bruni." Dann wird es einfach, die Politik vom längsten Windpark der Welt an der A7 von Flensburg bis Bayern zu überzeugen. Der Bau dieser ersten deutschen Bürger-Energieautobahn ist übrigens mein guter Vorsatz für 2010. Ist das nicht hochpolitisch?
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