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Kolumne Nebensachen aus JerusalemDie Schabbes-Schickse

Kolumne
von Susanne Knaul

Leben unter Orthodoxen: Seit dem Umzug wird die Autorin gerne am Schabbat zu den Nachbarn gerufen, wenn es etwas an- oder auszuschalten gilt. Bigott, sagen Sie?

E ben war es dunkel geworden, als es an der Tür klopft. "Bei uns ist die Sicherung rausgesprungen", druckst Nachbars halbwüchsige Tochter. Es dauert eine Weile, bis ich kapiere, warum sie deshalb extra rüberkommt. Wir sind nämlich neu in der Gegend und ab sofort weit und breit die einzigen Nichtjuden unter Orthodoxen.

Die nachbarliche Koexistenz wird vor allem an Samstagen Belastungsproben ausgesetzt, wenn Freunde per Auto zu Besuch kommen. Am Schabbes bleiben die Lichter und Motoren der frommen Juden aus, da hat man es auch nicht gern, wenn andere fahren. Im Grunde aber ist unser Zuzug für die Umgebung ein Segen. Zum Beispiel wenn die Sicherung rausspringt. Ob ich "mal mitkommen" könne, fragt Nachbars Tochter.

Eine Gruppe ernster Männer steht vor dem Kasten, hält die Augen gesenkt, nur das Mädchen deutet auf den Schalter, und jetzt geht auch mir ein Licht auf. Ich bin die Schabbes-Schickse, die, eben weil sie keine Jüdin ist, einen Schalter betätigen darf.

Bild: taz

Susanne Knaul ist Israel-Korrespondentin der taz.

"Das ist nicht nur entwürdigend, sondern glatter Rassismus", erzürnt sich ein Freund, der selbst Jude ist, aber nicht religiös. "Wozu machen sie sich erst Gesetze, wenn sie sie dann anschließend doch wieder umgehen?" Doch immerhin eröffnet mir meine Nachbarschaftshilfe ungeahnte Möglichkeiten. Wenn ich gut genug dafür bin, am Schabbes einen Schalter umzulegen, dann dürfte auch niemand etwas dagegen haben, wenn ich mit dem Auto fahre. Vielleicht sollte ich meine Monopolstellung systematisch vermarkten. Jeder umgelegte Schalter würde mit umgerechnet 10 Euro berechnet, und bei Anwegen gebe es einen Aufschlag.

Nur die Kommunikation müsste besser werden. Neulich war es wieder so weit. "Wir haben das Licht im Kühlschrank angelassen", sagt die Nachbarstochter und führt mich in die Küche. Etwas umständlich, dass man als frommer Jude noch nicht einmal sagen darf, worum es geht. Anweisungen zu geben fällt auch unter die Schabbes-Verbote.

Eine Weile stehen wir schweigend vor dem Kühlschrank, bis sie mir per Kopfzeichen bedeutet, die Tür zu öffnen. Dort ist tatsächlich ein Schalter, mit dem man am Schabbes das Licht ausschalten kann, um so auch frommen Juden ein Öffnen zu ermöglichen. Im obersten Stockwerk gibts dasselbe Problem. Ob ich gern Pudding esse, fragt der Familienvater. Diesmal weiß ich gleich, wo der Schuh drückt. Ein Schokopudding, immerhin. Mein erster Lohn als Schabbes-Schickse.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

8 Kommentare

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  • A
    Antworter

    @ dave und erik:

     

    Nein, nicht ganz. Weniger, weil es Arbeit ist, sondern weil es verboten ist Feuer zu machen. Die Rabbiner haben dann irgendwann mal bestimmt, dass "Licht anknipsen" heute wie früher Feuer machen ist.

    Deswegen wird das Essen am Sabbat häufig bereits am Vortag gekocht und warm gehalten, denn Licht/Feuer anhaben ist okay, nicht aber anmachen.

  • KS
    kleiner Spinner

    ist schon doof, wenn man nicht beichten kann..

  • V
    vic

    Ich würde wohl auch helfen, "man" will ja nicht so sein. Aber zu derlei Verschrobenheit fehlt mir jeder Draht.

    Atheist sein heißt frei sein. Wenigstens was religiöse Rituale betrifft.

  • D
    dave

    @Erik, "Schalter umlegen" gilt als Arbeit und ist am Sabbat verboten...

  • B
    BoeltZwoelf

    Lichtschalter knipsen für orthodoxe Juden am Schabbes? Selbstverständlich, warum auch nicht? Wenn meine Nachbarn soetwas nicht tun könnten oder sich – aus welchen Gründen auch immer – davor fürchteten, es zu tun und mich darum bitten würden, würde ich selbstverständlich gerne helfend einspringen. Na klar, einfach so. Ohne Gedöns wegen Strenggläubigkeit oder etwas anderem. Weil’s nämlich meine Nachbarn sind. Alles Getue darum finde ich darum reichlich meschugge.

  • E
    Erik

    Find ich extrem witzig, nur mit 'nem komischen Beigeschmack.

    Weiss jemand, was es mit dem "Nicht-Schalter-umlegen" auf sich hat?

  • E
    Erik

    Find ich extrem witzig, nur mit 'nem komischen Beigeschmack.

    Weiss jemand, was es mit dem "Nicht-Schalter-umlegen" auf sich hat?

  • X
    xyz

    Das kommt davon, wenn man in der modernen Welt nach Regeln lebt, die - tatsächlich oder vermeintlich - von irgendwem etliche hundert oder gar tausend Jahre zuvor aufgestellt hat. Soll nicht antjüdisch klingen und gilt natürlich für (mindestens) die meisten Religionen. Da lob' ich mir das Atheistendasein und zische gleich noch ein Bierchen!