Kolumne Marx 2.0: Ulla und ihr Liebhaber
Welche Rolle spielt eigentlich der Fahrer der Gesundheitsministerin in der Dienstwagenaffäre? Ganz einfach: Eine intime.
J etzt wächst vielleicht Gras darüber. Die Affäre um die Gesundheitsministerin ist abgehakt, zumal nun auch andere Politiker in gleicher Weise geoutet werden. Irgendwann nach der Wahl kann man ja noch mal "dem Bundestag Rede und Antwort stehen" (Ulla Schmidt). Als wenn das dann noch jemanden interessieren würde.
Im Moment ist alles gesagt, sind alle Vokabeln gefallen, von Dienstwagenverordnung bis Sicherheitsstufe und außerplanmäßige Auslandstermine in Parlamentsferien. Und doch: Auf seltsame Weise weiß man nichts. Nicht einmal der Spiegel, der doch sonst immer nach einer Woche rauskriegt, was wirklich passierte, blieb stumm.
Also, alle Fragen noch mal: Warum dieser Aufwand? 5.000 Kilometer, wochenlange Hotelbuchungen, für eine Strecke, die man auch zu Fuß hätte gehen können - was war der wahre Grund? Was hat der Chauffeur da getrieben und warum?
Kein Mensch wird glauben, er sei da zufällig abgestellt worden. Bekanntermaßen haben Leute, die gefahren werden, zu ihrem langjährigen Chauffeur ein enges Verhältnis. Das liest man in jeder Politikerbiografie. Ulla Schmidt wird den Ihren nicht aus Versehen endlos in der andalusischen Hitze schmoren gelassen haben.
Was ist das überhaupt für einer, wie heißt er, wie sieht er die Sache? Ein fünfstelliger Eurobetrag aus Steuermitteln wurde verbraten, Geld genug für eine neue Kita, - da ist es nicht schamlos, Fragen zu stellen. Und was war so wichtig an dem Termin? Worum ging es da? Wen traf Ulla Schmidt überhaupt? König Juan Carlos? Penélope Cruz? Steinmeier, inkognito? Ging es allen Ernstes um den Eintrag in das Goldene Buch der Kleinstadt Dania?
Wieso wird das nirgendwo genauer recherchiert? Auch diese Zeitung müsste doch einen Korrespondenten in der Region haben, der sich einmal ein bisschen rumhört. Was ist das eigentlich für ein Superschlitten, S-Klasse, gepanzert, Listenpreis sechsstellig, wie sieht der aus, von innen, was kann der alles? Und der Fahrer wurde betäubt? Echt, wie denn? Von den Gangstern, die kennt man also? Bitte mehr darüber, das ist doch eine 1-a-Geschichte! Politisch, menschlich, philosophisch … sexuell? Hier treffen sich Wahlkampf, Sommerloch, Kriminalität, Machtmissbrauch und menschliches Schicksal. Wo waren die deutschen Chefredakteure, als all das über den Ticker kam? Auch in Alicante? Wo war der Kurt Tucholsky von heute? Also, bisher blieb alles abstrakt und nebulös.
Die einfachste Erklärung, nämlich dass der Fahrer der Liebhaber seiner Chefin sei, wird nicht erwogen, da zu bildzeitungsmäßig. Wäre natürlich auch ein fieser Gedanke. Aber fieser als die inhumane Zurechtweisung, das Dienstrecht gestatte Schikanen dieser Art, wäre er auch nicht.
Und die Bild selbst guckt auch weg, weil es diesen Ehrenkodex gibt, das Privatleben der Regierungsmitglieder nicht anzufassen. Das ist ganz wunderbar und soll so bleiben. Ärgerlich ist nur, die Bürger für derart dumm zu verkaufen. Mit den bisherigen Erklärungen zum Fall hat man ihre Intelligenz grob beleidigt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?