Kolumne Märchen: Die Katzenfutterschmugglerinnen
Die Wahrheit über Braunau: Wie das kleine Örtchen in Österreich zu seinem zweifelhaften Ruf kam.
Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da reiste eine junge Dame nach Wien, um sich dortselbst auf das Königlichste zu amüsieren. Wilde Feste sollten gefeiert werden, ja selbst Exzesse und Orgien waren geplant. Und da dieser Plan später auf eine etwas ausufernde Art und Weise in die Tat umgesetzt wurde, die Dame von der hier die Rede ist aber mit dem Gedanken spielt, demnächst in die Politik zu gehen, so bat sie darum, doch ihren Namen bitte geheim zu halten. Nennen wir sie deshalb Corinna S.
Auf dem Weg also nach Wien begegnete Corinna S. in der Eisenbahn einer blonden rauchenden Endvierzigerin. Ach, es war in fernen Tagen, als Menschen und Tiere noch die gleiche Sprache sprachen und man in der Eisenbahn noch rauchen durfte.
Die blonde Dame hörte auf den stolzen Namen Rita, war sehr mitteilsam und suchte die zweifellos mehr als angenehme Nähe von Corinna S., der sie ohne Scheu oder falsche Zurückhaltung erklärte, sie käme aus Bayern und sei auf dem Weg nach Braunau, wo sie ihre beiden kleinen Enkelchen besuchen wolle und diese mit eitel Spielzeug, Lakritze und Zuneigung zu überschütten gedachte.
Braunau, so konnte sich Corinna S. nicht enthalten, altklug zu bemerken, Braunau sei ja zu zweifelhafter, wenn nicht gar trauriger Berühmtheit gelangt. Rita mit den goldenen Haaren stimmte zu und bestätigte: "Ja. Gerade in den fünfziger Jahren florierte in Braunau der Katzenfutterschmuggel." Diese Information machte Corinna S. aufhorchen und es überkam sie eine große Lust, mehr zu erfahren über den illegalen Transfer eines so bemerkenswerten wie reizvollen Gutes wie Katzenfutter. Und Rita begann, die sonderliche Geschichte zu erzählen:
In jenen Zeiten also hatte es eine kleine Brücke gegeben, die direkt von Braunau hinüber in das liebliche Königreich Bayern führte. Und dort in Bayern gab es einen winzigen Kaufmannsladen, der eventuell sogar aus Lebkuchen gebaut war, aber das wusste Rita nicht mehr genau. Was sie aber noch ganz genau wusste, war, dass in diesem Kaufladen eine Dose Katzenfutter nur 99 Pfennig gekostet hatte, wogegen man in Braunau für eine Dose der gleichen Nobelmarke 21 Öschis den verschlagenen Katzenfutterhändlern bar auf die Tatze zählen musste. Das führte nun nach einiger Zeit der Mundpropaganda zwangsläufig dazu, dass ganze Horden von Braunauer Katzenbesitzerinnen Bayern überfluteten, um sämtliche Vorräte des besagten Dosenfutters aufzukaufen. Das missfiel aber sowohl den Einwohnern Bayerns als auch den Kaufladenbesitzern Braunaus. Beide Parteien reichten Petitionen bei ihren jeweilig zuständigen Bütteln ein und es dauerte dann nicht mehr lange, bis mitten auf der kleinen Brücke eine winzige Grenzpostenhütte stand. Die goldenen Zeiten hatten ein Ende gefunden, denn jede Braunauer Handtasche wurde nun von dem unbarmherzigen Grenzer nach illegalem Katzenfutter untersucht.
Und nun wurden die Braunauerin kreativ, und noch heute killert Corinna S. ein sanftes Glucksen, wenn sie an den Schalk in den Augen ihrer Reisegefährtin Rita zurückdenkt, als diese erzählte, wie es ihr aber dennoch einmal gelungen war, einen ganzen Koffer voller Schmuggeldosen heimlich über die Grenze zu bringen. Ihre Mutter spielte dabei eine tragende Rolle, und auch eine Verschwörung mit Freundinnen aus Bayern. Es war ein geschicktes Verwirrspiel mit mehreren Taschen, Koffern und Damen, ein raffinierter Trick, den sich nur entschlossene Katzenbesitzerinnen ausdenken konnten und der den etwas einfachen Grenzer dahingestreckt hatte.
So gewitzt, clever, pfiffig, ausgefuchst und listig ging dieser Schmuggel vonstatten, dass es an dieser Stelle nicht möglich ist die Einzelheiten en détail zu beschreiben. Auch träumt Corinna S. davon, die Geschichte eines Tages einem Prinzen aus Hollywood zum Hochzeitsgeschenk zu machen, auf dass der folgende Blockbuster sie auf immer reich und berühmt mache.
Und wenn Corinna S. nicht gestorben ist, dann träumt sie davon noch heute.
CORINNA STEGEMANN
MÄRCHEN Fragen zum Katzenfutter? kolumne@taz.de Morgen: Stefan Kuzmany ist GONZO
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