Kolumne Märchen: Eines düsteren Tages aber ...
... kam ein böser Fluch über die Welt, und die örtliche Arbeitsvermittlung wartete schon
Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da lebte eine junge Dame, die anmutig und von geistigem Adel war, in einer Welt der reinsten Vergnügungen und Lustbarkeiten. Pläsier folgte auf Pläsier und der Zerstreuungen waren zahlreich und vielfältig. Dieses Wohlleben, welches auch gern als "Studium" bezeichnet wird, ließ sich die junge Dame, deren wahrer Name zu wundervoll und glänzend ist, als das man ihn in einem allzu weltlichen Zusammenhang offen aussprechen sollte, daher wollen wir dieses glückselige Geschöpf hier ganz weltlich als Corinna S. bezeichnen, diese Dame also ließ sich das Gefunkel der Tage wohl gefallen und wähnte es ewig und unvergänglich. Ein Eselchen-Streck-Dich sorgte für eine stets munter sprudelnde Dukatenquelle und ein Tischlein-Deck-Dich garantierte für das leibliche Wohl.
Die Jahre zogen ins Land, die Freuden nahmen kein Ende, und so kam es, dass Corinna S. die mahnenden Worte verwandtschaftlich verbundener Menschen, sie, Corinna S., solle doch auch eventuell bald einmal den angestrebten Studienabschluss etwas enger in Erwägung ziehen, dass sie diese Worte also gar nicht gerne hören mochte und bis in den hinterste Winkel ihres Kopfes verdrängte.
Eines düsteren Tages aber kam ein böser Fluch über die Welt. Das fleißige Eselchen-Streck-Dich versagte seinen Dienst und auch die Gaben des braven Tischlein-Deck-Dich wurden immer karger. Corinna S. jammerte und klagte, aber ach, es nutze nichts. Das schöne Kind musste die größte Demütigung auf sich nehmen und um eine Audienz bei der örtlichen Arbeitsvermittlung ersuchen. Welche Art und Weise, ihren Lebensunterhalt fortan selbst zu bestreiten, ihr denn wohlgefällig dünke, wollte der grobschlächtige Menschenschinder vom Arbeitsamt von Corinna S. wissen. Ei, darüber hatte sie sich freilich schon Gedanken gemacht. Stroh zu Gold zu spinnen, das wolle sie gerne erlernen, gab sie frohgemut zur Antwort und staunte nicht schlecht, als der Menschenschinder ihr polternd lachend einen deftigen Vogel zeigte. Ein Wort gab das andere und am Ende verließ unsere Heldin das Amt mit nichts weiter als der Adresse eines kleinen Verlagshauses, welches Kaufleute auszubilden sich anerboten hatte.
Der Herrscher über dieses kleine Verlagsreich war ein unfreundlicher, grauer Gnom, der, kaum hatte er Corinna S. gesehen, diese gleich mit solch einer leidenschaftlichen Inbrunst hasste, dass selbst die solcherart Gehasste nicht umhin konnte, dieser Inbrunst eine gewisse Bewunderung zu zollen. Aber auch Corinna S. konnte hassen wie Rübezahl, wenn sie herausgefordert wurde. Und so hassten sich die beiden für fünfzehn Anstandsminütchen gleichstark hin und her, bis der graue Gnom die Audienz endlich mit einem knappen "Sie hören dann nicht von uns" beendete.
Bei einer großen Bank wollte Corinna S. nun in die Lehre gehen und ihr Glück versuchen. Sie zog sich ein hellblaues Kleidchen an, machte den besten Eindruck, dessen sie fähig war, und startete ihr neues Leben in einer charmanten kleinen Bankfiliale hinter den sieben Bergen. Artig sortierte sie Tag für Tag und Woche für Woche Kontoauszüge - denn die Geschichte spielt ja in der Zeit, als Menschen und Tiere noch die gleiche Sprache sprachen - und dabei träumte sie von DEM Jahrhundertbankraub, den sie, Corinna S., wahlweise in ihren Träumen verhinderte oder unterstützte, je nachdem
Jemand rüttelte Corinna S. plötzlich an der Schulter, als sie in Kontoauszüge und Träume vertieft war. "Bist du okay?", wurde sie gefragt. "Aber klar", gab sie zur Antwort. "Warum sollte ich denn nicht okay sein?" Erst jetzt bemerkte sie, dass alles in der Bankfiliale sich in heller Aufregung befand. Die Filiale war nämlich grad dezent überfallen worden und Corinna S. hatte es als einzige nicht bemerkt!
Enttäuscht vom Arbeitsleben beschloss Corinna S., dann halt doch lieber den Studienabschluss zu machen.
Und wenn sie den nicht geschafft hat, dann studiert sie wohl noch heute.
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