piwik no script img

Kolumne LaufenMit Schnellgericht zum Weltrekord

Kolumne
von Dieter Baumann

Die Ehrengäste erhoben sich, das Fußvolk blieb sitzen: Beobachtungen von der Leichtathletik-WM.

K urz vor Beginn der Sommerferien warnten die Medien vor der Schweinegrippe. "Meiden sie große Menschenmengen!" Trotz dieser Warnung fuhr ich zur Leichtathletik-WM nach Berlin. Zum ersten Mal als Zuschauer, eine ganze Woche lang! Würde ich dass denn aushalten? Mit 50.000 Menschen im Stadion rumhocken. Bestimmt ist die Leichtathletik stinklangweilig, dazu kommt noch die Schweinegrippe.

Bisher erlebte ich eine Weltmeisterschaft nur als Athlet. Das heißt, ich erlebte sie so gut wie gar nicht. Die Welt der Athleten sind auf zwei Orte beschränkt: Hotel und Stadion. Dazu noch ein bisschen traben im Park. Das wars. Menschenmengen mied ich. Laut Medienbericht wurde bei dieser WM ein Athlet in einer Pommesbude gesichtet. Chicken what ever soll der Kerl zwischen zwei Weltrekorden verspeist haben. Wenn ich mal über die Stränge geschlagen wollte, dann suchte ich mir einen Käsekuchen in einem ruhigen Café. Aber gut, die Zeiten ändern sich.

Auch die Zeiten der Pressemenschen. Heutzutage werden alle vom Verfassungsschutz durchleuchtet. Nur nicht die von der taz, die weigerten sich. "Ein Angriff auf die Pressefreiheit", sagte die taz. "Bringt doch nichts" und "ein linker PR Gag", sagten die Kollegen auf einer Podiumsdiskussion im taz-Café während der WM. Am Abend gingen die meisten zum WM-Club "Deutsches Haus" und ließen sich von den Sponsoren der WM aushalten. Essen, Trinken - alles umsonst. Sind dabei völlig unabhängig, feiern mit den Funktionären des Verbandes und lassen sich ein tägliches "Update" zur Lage der Medaillen geben.

Bild: taz

Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.

Ach ja, die Funktionäre, noch so eine Welt einer Weltmeisterschaft. Das erste große Glück dieser Funktionärswelt fand gleich zu Beginn statt: Die Eröffnungsfeier. Horst Köhler durfte zwei Sätze sagen und Angela Merkel durfte neben dem IAAF-Boss Lamine Diack sitzen. Dann die deutsche Hymne. Alle standen auf. Ergriffenheit machte sich breit. Endlich konnte das Spektakel beginnen. Nein. Eine weitere Fahne wurde gehisst, eine weitere Hymne eingespielt. Die Hymne der IAAF. (Formaljuristisch eine Ebene mit einem Kleintierzüchtervereins.) Die Ehrengäste erhoben sich erneut. Wir, das Volk auf der Gegengerade, blieben sitzen. Der arme Köhler, dachte ich, und die Angie, mein Gott. Aber irgendein Preis muss das Sitzen auf der Ehrentribüne schließlich haben. Zur Welt der Funktionäre ist neben dem Einsatz bei Siegerehrungen noch die Nahrungsaufnahme zu nennen. Nach dem 100-Meter-Zwischenlauf der Männer standen alle auf - die komplette Ehrentribüne! - und gingen erst einmal essen. Wenige Minuten später startete der 10.000-Meter-Lauf der Frauen. Es ging um den Titel.

Nach zwei Tagen auf den Rängen mit Currywurst zog ich auf die VIP-Tribüne. Eine weitere Welt der WM. Es gibt VIP-Bereiche und VIP-Bereiche und es gibt die Ehrentribüne der Funktionäre. In unserem VIP-Bereich gab es Chili con carne. Drei Tage lang. Ich konnte es nicht mehr sehen und wahrscheinlich der Koch auch nicht mehr, denn am vierten Tag packte er den Rest in eine Rolle. Enchilada nannte er das.

Ich saß als Ehemaliger unter Ehemaligen. Wir zeichnen uns durch eine hohe Fachkompetenz aus. Stimmt der zweite Schritt des Anlaufes? Ist der Winkelgrad des Ellbogens beim Abwurf richtig? Auf jede Frage bekommen sie so viele Antworten, wie Ehemalige auf der Tribüne sitzen. Aber wir hatten unseren Spaß. Nur einmal kam ich ins Schwitzen. In der S-Bahn. Völlig überfüllt standen wir 15 Minuten beim Olympiastadion. Körper an Körper. Schweiß auf Schweiß. Kurz dachte ich an die Schweinegrippe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • J
    Jordi

    Cooles Artikel! Sehr amüsant!!