piwik no script img

Kolumne Knapp überm BoulevardIch, ich, ich!

Der Narzissmus ist auf dem Siegeszug. Sein Idealtypus: Das politisch korrekte Kind. Kleine Tugendterroristen verstehen überhaupt keinen Spaß.

M eine Zahnärztin erzählte mir neulich, wie sie nach fünfmonatiger solidarischer Abstinenz ein kleines Stückchen Fisch gegessen hat – worauf sich ihre vegetarische Tochter empörte: Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren? Das erinnerte mich sofort an Peter Unfrieds neues Buch.

Vor allem an das Kapitel „Die vegetarische Verschärfung“, wo er beschreibt, wie seine Tochter zur militanten Vegetarierin wurde. Mich interessiert daran weniger das Vegetarische als vielmehr die Militanz dieser Kids. Die Militanz, mit der sie ihren Eltern aufzwingen, nur hinter Sichtschutz Fleisch zu essen (bei Unfrieds) oder sie durch den Trick mit dem schlechten Gewissen überhaupt zum Lustverzicht nötigen (bei der Zahnärztin).

Das Besondere an dieser Militanz ist die Verabschiedung des guten alten Über-Ichs, bei dem die Eltern noch Stimme und Instanz der Moral waren. Und das ganze Gerede von wegen Kinder brauchen Grenzen und Regeln – völlig verkehrt.

Bild: Daniel Novotny
Isolde Charim

ist freie Publizistin und lebt in Wien.

Um zu verstehen, wie es zu dieser Verkehrung kam, lohnt es sich, den neuen Essay von Thomas Edlinger und Matthias Dusini zur Political Correctness („In Anführungszeichen“) zu lesen. Dort wird der Siegeszug des Narzissmus beschrieben. Die Selbstliebe ist nicht nur zur grundlegenden gesellschaftlichen Verkehrsform geworden, sie hat sich auch einen neuen Prototyp, eine Idealfigur erkoren: das Kind. Dieses ist vom unfertigen Menschen zum Ich-Ideal des Narzissten, zu dessen idealem Selbstbild geworden. Mit Freud sprechen Edlinger/Dusini von der „Inthronisierung“ des Kindes. Und als diese Prototypen, zu denen wir sie gemacht haben, treten sie uns nun entgegen.

Selbstliebe als Verkehrsform

In diesem Idealbild stellt sich der narzisstische Zeitgenosse als moralisches, als politisch korrektes Wesen vor. Psychopolitisch ist das eine total interessante Verschiebung – wird doch das Ich-Ideal zum Träger der Moral und nicht mehr das Über-Ich. Weshalb diese Moral auch nicht mehr als Verbot durch eine äußere Autorität auftritt. Diese PC-Moral funktioniert dadurch, dass die Menschen alles, „die Ausschreibeverfahren von Bahnhöfen und das Schmelzen des Polareises“ oder, wie es bei Unfried heißt, „die Tierhaltung und die Verschärfung der Klimakrise durch den globalen Fleischverzehr“ – dadurch also, dass sie das ganze Weltgeschehen „auf sich beziehen“.

Genau das macht diese PC-Moral zum narzisstischen Ideal. Wenn nun diese Moral eine Symbiose mit dem narzisstischen Idealtypus, dem Kind, dem Jugendlichen, eingeht, dann ist dies eine maximale Verdichtung heutigen In-der-Gesellschaft-Seins.

Von daher rührt auch die Militanz der kleinen Tugendterroristen (das Wort ist von Peter Unfried). Während Eltern – selbst politisch korrekte, sogar vegetarische – noch eine gewisse Distanz zu den PC-Regeln haben (im besten Fall), eine ironische Distanz, so gibt es diese für PC-Kids nicht. Umweltbewusste PC-Kids verstehen keinen Spaß, wenn es um Mülltrennung oder um Vegetarismus geht. Denn damit befolgen sie ja keine Befehle des Über-Ichs, da ist keine verinnerlichte elterliche Autorität, die sie antreibt – nein, es ist die absolute Notwendigkeit, das ideale Selbstbild zu erfüllen: Nur so lässt sich der narzisstische Selbstbezug aufrechterhalten.

Da stehen sie dann vor ihren verdutzten Eltern, kontrollieren den Papiermüll und verbieten ihnen den Fleischkonsum. Mit fiesen Tricks. Wir bekommen da nur unsere Botschaft in umgekehrter Form zurück. Die inthronisierten Kids zeigen glasklar: Eltern brauchen Regeln. Peter Unfried hat vollkommen recht: „Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • W
    Wunderlich

    Nett beobachtet - nett beschrieben:

    aber etwas fehlt:

    Die kleinen Militanz-Vegetarier handeln mitnichten aus ureigenem Antrieb - hinter ihnen steht eine mächtige Industrie.

    Die weiß mittlerweile so geschickt zu agieren, dass ihre Funktion als "Führungsoffizier" kaum noch bemerkt wird.

    Die Zeiten der Jugendbeeinflussung mittels "hols Dir", "nimms Dir" "Du darfst" und "Du brauchst" sind vorbei, diese Plump-Botschaften waren auf die Dauer zu einfach zu durchschauen.

    Jetzt werden die Kinder zu kleinen Hausterroristen umerzogen, indem sie in Jugendmedien und selbst in als Schulmaterial verkappter Werbung dauerbeschallt und auf Linie gebracht werden.

     

    Eltern können sich ein Bild machen, wenn sie öfter nach dem "Cui bono" dieser Botschaften fragen und sich die Mühe machen, das Impressum im Kleingedruckten zu lesen.

    "There is nothing like a free lunch", das gilt auch für die allgegenwärtig an Kinder adressierten Ernährungsbotschaften, in denen die ökologisch-vegetarische Heilsidee nahezu immer - scheinbar am Rand - auftaucht.

     

    Und wem nützt sie?

    An reiner Fleischproduktion wird heute niemand mehr reich.

    Wer seine Gewinnmarge steigern möchte, dem muss es gelingen, den Hunger auf Lebensmittel umlenken, die einen Bruchteil der Produktion kosten, aber zu ähnlichen Preisen verkauft werden können.

    "Hol Dir Dein Veggieschnitzel, es ist ein Stück Lebenskraft und schmeckt einfach besser" wäre inhaltlich lächerlich und außerdem leicht zu durchschauen.

    Die flächendeckende Usurpation des jugendlichen Moralempfindens ist schon schwerer zu enttarnen.

  • KK
    Karl K

    Lost in translstion? 2.0

     

     

    Du, du, du! liegst…

     

    Jaha - Martin Buber: das Du ist vor dem Ich!

    Also - wieder correkt, wenn's ne Hommage an le chefreportér ist.

    ( Ich, ich… - Robert Gernhardt).

     

    Ob diese Mülltrennung: Über-ich vs ich-Ideal correkt ist? - who knows?

    (setzt correkt eine Abweichung des kinds-ich vs kind-Über-ich voraus, odr!?).

     

    Anyway - der korrekt gesehene kindliche Narzissmus ist bei Volkers angekommen!

     

    Ließ sich dunnemals doch außer Louis Quatorze vermutlich kein Kind sonst morgens von Bediensteten - völlig pc - den präköniglichen Schniepel küssen;

    - geraten heutige Kids schon mal in die Niederungen der querulatorischen

    pc-Schotterstrecke.

     

    Warnungen vor Narziss? Daran hat es nie gefehlt! Aber Hallo!

    Elsässische Weinebene:

    "Was willsten trinken?- Cola! -

    Winzer:" Was? - sie fragen das Kind, was es trinken will? - na, Sie! - wern schon sehn, was'S davon hom…!" - Klar.

    Hab ich doch den Rest der Familie auch immer ganz tapfer mit Zeit/Spiegel-Unverdautem genervt.

    Lehrer sowieso!

     

    Gemach. Das wächst sich aus.

    Und - besser ist das. Dann werden sie als pensionierte OberstupidienrättInnen wenigstens nicht den derzeit allfälligen Mülltrennungsschutzbrigaden-rent. et al. beitreten. Sondern machen Musik - oder was weiß denn ich.

     

    Und wo sie recht hat, hat sie recht, Isolde Charim:

     

    "Es fehlt der Citoyen

    Kurzum – Bildung muss heute nicht Erziehung zu mehr Ich, sondern Erziehung zu weniger Ich sein."

     

    - Jau, gebongt! That's it!

    Aber - starkes Ich muß sein!

    But - by carefully maintaining the balance!

     

    Also kümmern wir uns darum:

    pc-besessene Ökoterroristen-kids san ung'sund und - fallen aber auch nicht vom Himmel - ihr Berufs-Mütter-Väter.

    " Neje-tak-ich-bin-kein-AKW-verkleidete 4-Jahre-Kids und - weiter östlich - mit Winkelementen! - lassen grüßen!

     

    Kloppt diese hartnäckigen Residuen schwarzer Pädagogik ( Blondschopf-mit -Winterhilfswerksammelbüchse-Fotto am Schreibtisch meines Vaters!)

    in die Tonne und dann ab in die Erdmöbel!

    …never come back, - I hope!

  • N
    nalu

    Noch besser gefallen als der obige Artikel hat mir die "Berichtigung" gefallen, die Isolde Charim in der heutigen TAZ hinterher schickt (Mittwoch, 21.11.2012), den ich so verstehe: das verbreitete PC-bashing ist an sich unehrlich und man möge sich zu politischer Korrektheit bekennen. Denn bei dem "Wunsch nach politischer Korrektheit" ginge es doch letztendlich darum, "den bis dato ungebremsten Narzissmus einer hegemonialen Grupe infrage zu stellen" (Charim in der 'Berichtigung').

  • V
    Vatti

    Vielleicht würde es den lieben Kleinen mehr helfen, wenn manche Eltern endlich aufhören würden sich als beste Freunde aufzuführen.

    Viele dieser "Miniaturdiktatoren" riskieren innerhalb ihres Freundeskreises nie so eine dicke Lippe wie gegenüber ihren Eltern.

    Aber Respektlosigkeit gegenüber den Eltern ist in unserer Gesellschaft ja schon so was von "PC"...

  • HO
    Hypocrisis orbis

    Interessant.

    Das zeigt, wie hinter der angestrebten antiautoritären Erziehung in der Praxis oft eine individualistische, entwickilungspsychologisch spät-individuierende "Anti-Autoritäts"-Haltung seitens der Eltern steht. Diese versuchen damit eigene ideologische Konflikte zu umgehen und durch Aufgabe der Verantwortung familiäre Konflikte zu vermeiden. Irgendwann wird die Autorität in einer "Autoritärität" gesucht, und erklärt beiläufig das Abdriften grün-spießbürgerlicher Schichten in klassistische (pro-Hartz-IV), unterschwellig rassistische (pro-Sarrazin) und bellizistische Positionen.

  • A
    aujau

    In früheren Zeiten war der Narzissmus auch nicht weniger verbreitet und ausagiert. Es wurde nur anders genannt.

  • A
    aleister

    tja, kinder nehmen halt bestimmte sachen immer ernster als erwachsene. schließlich müssen sie dafür ja auch dauernd die "alternativlosigkeit" der elterlichen ansagen ertragen. und dann jammern die rum, wenn sie selbst mal in die pflicht genommen werden. nicht nur labern sollen und nicht für sich schöne ausnahmeregelungen in anspruch nehmen. kinder (und überhaupt die jugend) verfügen über diese doch so beneidenswerte entschlossenheit. sie verstehen in solchen sachen keinen spaß und was sollte daran schlecht sein. da kann sich jeder erwachsene teilzeitök ne scheibe von abschneiden. wenns drum geht, mal ein wenig konsequent zu sein. bioernährung,keine impfungen und gentechnik und auch kein atom, aber mit dem suv bionade kaufen fahren und 2 fernreisen im jahr mit dem flieger, und das ist kein klischee. erst den kindern den kopf verdrehen und sich dann beschweren, daß man beim wort genommen wird. so siehts leider aus in der welt der erwachsenen, das sind die abnutzungserscheinungen des jahrelangen alltags. früher wurde einem gesagt, du sollst nicht lügen, und später ists ja auch eine tugend, sich nicht dabei erwischen zu lassen. super wertevermittlung...

  • HS
    Heute so, morgen so

    "Richtige" (vielleicht auch pathologische) erwachsene Narzissten erkennt man doch erst daran, dass sie ihr Ideal-Bild und wofür sie sich vehement und unnachgiebig einsetzen, von ein auf den anderen Tag auch genau in die andere Richtung vertreten können - mit der gleichen Vehemenz.

     

    Sie haben einfach keine Festigkeit im eigenen Selbst und suchen sich im Außen den Halt. Sie nehmen dabei das, was gerade so greifbar und "in" ist. Außerdem sind sie in der Lage andere psychisch zu zerstören und sie sind berechenbar unberechenbar. Und:. Sie steigen die Karriereleiter oft hoch hinaus mit diesen Qualitäten! (v.a. Politiker und Manager)

     

    Anders sind meiner Meinung nach z.B. die klassischen "Vegetarier" oder Menschen einzuordnen, die einfach aus ihrem inneren Heraus beständig sich einer (ökologischen und/oder sozialen) Sache widmen und dabei das Leben und das Leben lassen aber nicht vergessen.

     

    Meine Tochter hat auf jeden Fall genug von dem ganzen "Ökokram" ihrer Mutter ;-) Sie meint, dass sie sich das nicht leisten kann von ihrem Taschengeld und es ihr sowieso egal sei. Da hilft Wissen nichts. Das ist doch auch jugendlicher (gesunder) Narzissmus, oder?

     

    Und andersherum: Ich habe hoffentlich so viel Festigkeit, dass ich auch Dinge tun kann, die meine Kinder nicht so toll finden. Natürlich keine doppelmoralischen, die die Erziehung gefährden könnten :-)

     

    Meiner Mutter habe ich übrigens vor ca. 30 Jahren die Zigaretten leidlich gemacht, nachdem ich ihr vorher manchmal einfach welche am Automaten gezogen und geschenkt hatte als Kind, weil sie sie so gerne mochte. Ich habe damals angefangen, immer die Kippen im Aschenbecher zu zählen. Irgendwann war ihr das zu blöd und sie hörte tatsächlich auf zu rauchen... War das nun guter oder schlechter Narzissmus? Ich habe dann dafür ein paar Jahre später doch auch einige Zeit geraucht. Jetzt rauchen beide schon lange nicht mehr und meine Kinder behaupten (noch): "Wir werden nie rauchen!" Ich bin gespannt und schmunzle, wenn ich so etwas höre...

  • H
    Heiko

    "politisch korrektes Kind"

     

    Hört sich an wie ein Ausdruck aus dem tiefsten Stalinismus. "Politisch korrekt" gibt es nur in Diktaturen, in einer wahren Demokratie kann JEDER sagen was immer er denkt. Und wenn es der größte Müll ist.

  • RB
    Rainer B.

    Gibt es etwas Narzisstischeres als eine Frau, die sich ihren Kinderwunsch erfüllt? Ich meine - Narzissmus muss im Ergebnis nicht schlecht oder pathologisch sein.

     

    Das Über-Ich wird heute nicht kleiner, sondern hoffnungslos überstrapaziert. In der Erziehung wäre eine Konzentration auf wichtige, wenige und klare Regeln wünschenswert (keine Doppelmoral). Ansonsten darf man sich nicht wundern, wenn das Über-Ich zunehmend in Beliebigkeit aufgeht.