Kolumne Katastrophen: Postapokalyptische Postkarten
Es erreichen mich beunruhigende Nachrichten aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
D ie USA stehen am Abgrund. Ihre Tage sind gezählt. Ein im Grunde unbewohnbarer, völlig entsteller Ort muss das sein. Ein Wunder, dass die Bewohner es dort so lange ausgehalten haben.
KIRSTEN REINHARDT (30) arbeitet bei taz.de.
Der Untergang naht.
Woher ich diese brisante Information habe?
Nun: Ich bekomme zurzeit beinahe täglich US-Untergangsindizien. Per Postkarte.
Mit der Freiheitsstatue drauf (inklusive sämtlicher Längen- und Durchmesserangaben und dem Gewicht: 450.000 Pfund).
Elvis. Sitting Bull. Death Valley.
Oder der Aufforderung "Get your kicks on Route 66" vor der Rückansicht eines lederbekleideten Bikers. Jede Postkarte für sich ist kein Grund zur Besorgnis, doch zusammen entwerfen sie das Bild eines Landes kurz vor dem Kollaps.
"Das Abendessen besteht aus diversen Dosen Bier, einer Banane und Keksen, als Nachtisch gibt es Erdnüsse. Waren gestern in Nashville, ziemliches Kaff. Heute in Memphis/Tennessee bei Elvis. Graceland ist ein Alptraum: Preise für den Besuch dieser seltsamen Einrichtung liegen zwischen 25 und 70 Dollar, drei Stunden Wartezeit und ein seltsam prolliges Publikum."
Das ist ein Lebenszeichen meiner Eltern.
Für ein halbes Jahr haben sie sich vom niedersächsischen Nieselregen verabschiedet und reisen durch die Welt. Nach zwei Wochen Anfahrt auf einem Containerschiff sind sie in den USA "on the road".
"On the road" - Jack Kerouacs angeblich in einem einzigen manischen Rutsch auf eine meterlange Papierrolle gehämmertes Reportage-Manifest über Freiheit, Freiheit und Amerika - nährt seit nunmehr 50 Jahren die romantischen Traveller-Fantasien Halbwüchsiger aller Kontinente. Die fiktionalisierten Beat-Poeten (Kerouac, Cassidy, Ginsberg, Burroughs) durchqueren darin in alter Hobo-Tradition, plus Jazz, Sex und allerhand Drogen, die Vereinigten Staaten. Mein schwärmerisches Jugend-Ich hat einst Wochen zwischen diesen Zeilen verbracht.
Nun darf ich es wieder tun - doch die Postkarten sprechen eine andere Sprache.
Von Drogen und Musik ist nicht so viel die Rede. Mein Vater - Atheist und Sciene-Fiction-Fan - liest (Verzweiflung? Langeweile?) angeblich sogar in der Motelbibel. In den USA scheint absolut nichts los zu sein.
Zum Beispiel 70 Meilen vor Memphis: "Städte, bzw. Stadtzentren gibt es hier eigentlich nicht. Alle dröhnen mit dem Auto durch die Gegend. Die ist total zersiedelt, so dass sie zum nächsten Fast-Food-Laden fahren, um dort ihren gemütlichen Sonntag Abend zu verbringen".
Auch modisch scheint das Land verloren: In Death Valley zum Beispiel sehen die "Männer immer so aus, als ob sie gerade ihr Pferd draußen angebunden haben. Das Handy wird als Revolverersatz am Gürtel getragen." Las Vegas entpuppt sich als "total perverse Stadt - sind so schnell wie möglich weg" - und die zur Besichtigung aufgesuchten "Riesenkakteen als Yuccabäume".
Seit Al Gore ahnen wir, dass die Situation auch klimatisch eine desaströse ist.
Hier der Beweis: "Abends um 21 Uhr: wir beide mit einem Sixpack vom Motelzimmer über die Straße und uns auf eine Bank vor dem General Store gesetzt. Das Bier ist schön kalt, der Wind bläst uns 48 Grad heiße Luft in die Gesichter. Wir haben das Gefühl, vor einem großen Föhn zu sitzen. Das Sixpack ist unter diesen Bedingungen natürlich schnell erledigt. Dann zurück in den Klimaanlagenkühlschrank des Motelzimmers, um die dadurch verursachte Dauererkältung zu pflegen, was wir sonst tagsüber im Auto tun".
(Heimlicher Nachtrag meiner Mutter: "P. leidet unter der Aircon (heftig!) und nervt etwas".)
Was die Zukunft des Landes - die Jugend! die Rettung! - in den USA so treibt, ist meinen Eltern "absolut schleierhaft".
Vermutung: "Wahrscheinlich melden sich alle zur Army, um mal was zu erleben."
Was soll ich sagen? Der Hang zum Katastrophalen liegt offenbar in der Familie.
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