Kolumne Jugend trainiert: Ein Wettbewerb des Lebens
Unsere Autorin ist einst mitgelaufen bei "Jugend trainiert für Olympia". Für sie war es eine wahrhaft olympische Erfahrung.
Okay, ich hätte weiterlaufen können - mit einem Schuh. Den anderen hatte mir eine Mitläuferin des 800-Meter-Laufs weggetreten, als ich im Getümmel zu Fall kam. Ich wollte nicht, die anderen waren schon eine halbe Runde weiter, bis ich mich aufgerappelt hatte. "Bin ich Zola Budd?", dachte ich. "Nein, halb barfüßig laufe ich nicht." Ich gab auf.
Damals war ich 15 und Teilnehmerin bei "Jugend trainiert für Olympia". Schon zum vierten Mal hatte sich meine Mannschaft für den Bundesentscheid qualifiziert, ich hatte also bereits Routine, im Berliner Olympiastadion zwei Runden zu laufen. Mal was Neues, das Rennen nicht zu Ende zu bringen. Und überhaupt: Was uns ja fast wichtiger war als der Wettkampf: fünf Tage Berlin. Dafür rannten, sprangen und warfen wir bei den regionalen Ausscheidungen wie echte Leistungssportler. Ein Wettkampftag, vier Tage frei in der Stadt. Größer können Sportabenteuer für Heranwachsende aus einer rheinhessischen Ministadt nicht sein.
Berlin war für uns ein Erlebnispark: Wir trafen Nena auf der Straße, fuhren hinauf auf den Fernsehturm, guckten uns Ost-Berlin an, gingen mit der älteren Jungenmannschaft von unserer Schule in die Disko und auf ein Udo-Lindenberg-Konzert, auf dem jedoch unser Sportlehrer mehr Spaß hatte als wir. Wir bekamen ein Scheckheft mit zahlreichen Ereignis- und Konsumgutscheinen. Kurzum: Es war toll!
Wir waren keine Supertalente - und wollten das auch gar nicht werden. Viele hätten nie Wettkampfsport gemacht, wenn es nicht die Schulmannschaft und "Jugend trainiert" gegeben hätte. Einige liefen einfach in der zweiten 4x100m-Staffel - und waren trotzdem dabei. Damals habe ich den olympischen Gedanken verstanden, "dabei sein ist alles". Und heute, wenn es in einigen U-Bahn-Stationen noch genauso riecht wie vor über zwei Jahrzehnten, erinnere ich mich zurück - auch an dieses Gefühl, als kleine Sportlerin im großen Olympiastadion in der noch größeren Stadt sein zu dürfen. Ein Gefühl, ein Wettbewerb fürs Leben. JUTTA HEESS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!