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Kolumne Islamische FinanzgeschäfteMit dem Koran gegen den Zins

Zähmt der Islam den Kapitalismus oder bietet der dem Islam eine Profitnische? Immer mehr Banken machen in "Islamic Finance".

Obwohl ich den Wirtschaftsteil meist überblättere, bin ich jüngst an der Schlagzeile "Interesse an 'Islamic Finance' steigt" hängen geblieben. Islamic Finance? Nun, ich war nicht auf der Finanz-Seite des Organs einer islamischen Kampffront, sondern es ging um Finanzgeschäfte, die den religiösen Regeln des Islams und der Scharia entsprechen. Solche Geschäfte also, die das allgemeine Zinsverbot ebenso wie das Spekulations- und das Glücksspielverbot, die der Koran vorschreibt, befolgen. Der Widerspruch einer Bank mit Zinsverbot soll durch Gewinnbeteiligung umgangen werden.

Zu Islamic Finance gehören neben Islam Banking auch schariakonforme Versicherungen. Es gibt dafür eine konfessionelle Höchstinstanz, das "Scharia-Board" des Dow Jones Islamic Market Index - ein Weisenrat von sechs moslemischen Gelehrten, der strittige Fragen löst. Wer glaubt, all dies sei weit weg, eine morgenländische Spezialität gewissermaßen, sei eines Besseren belehrt. Großbritannien hat eine Vorreiterrolle bei Islamic Finance, aber auch die Deutsche Bank unterhält seit drei Jahren einen eigenen Think Tank zum Thema.

Beim Thema Banken und Religion denkt der Laie vielleicht an berühmte Bankiersfamilien, die Juden waren, oder an die Vatikanbank - an Fälle also, wo sich die Religion aufseiten der Akteure findet. Islamic Finance hingegen ist ein qualitativ anderes und in jeder Hinsicht erstaunliches Phänomen. Zunächst ist es das, was Max Weber eine "Wirtschaftsgesinnung" genannt hat - das "Ethos einer Wirtschaftsform durch religiöse Glaubensinhalte". Dies ist, wie Weber ausführt, ein äußerst schwieriges Unterfangen. Gerieten doch die "sublimierten Erlösungsreligionen" in zunehmende Spannung zur rationalistischen Wirtschaft, dem Interessenskampf der Einzelnen: "Der Kosmos der modernen rationalen kapitalistischen Wirtschaft wurde daher", so Max Weber, "je mehr er seinen immanenten Eigengesetzlichkeiten folgte, desto unzugänglicher jeglicher denkbaren Beziehung zu einer religiösen Brüderlichkeitsethik".

Im Unterschied zur protestantischen Arbeitsethik versucht nun der Islam diesen Gegensatz von Religion und Ökonomie ausgerechnet durch eine antiwirtschaftliche Finanzethik zu überwinden. Ist das dann die Einführung der Brüderlichkeit in die "brüderlichkeitsfeindlichen" (Weber) ökonomischen Mächte? Ist das nun jene Form der Marktregulierung, die sich Theologen und theologisierende Theoretiker von der Religion (wenn auch meist nicht von dieser!) erhofft haben und neuerdings wieder erhoffen? Findet sich hier ein sittliches Regulativ für die enthemmten Märkte? Wobei diese Sittlichkeit nur eine partielle ist: Ungläubige (aus moslemischer Sicht) betrifft sie nicht. Diese sind keine Brüder.

Damit aber scheint Islamic Finance gleich zwei Marxsche Annahmen infrage zu stellen. Der Einführung religiöser Regeln ins Finanzwesen liegt - ausgesprochen oder nicht - die Vorstellung eines sittlichen Kapitalismus zugrunde, eine Vorstellung, die gegen die Behauptung steht, das Kapital sei moralfrei. Die Religion, die den Markt in die Schranken der Tradition weisen soll, widerspricht damit aber auch der Marxschen Konzeption des Kapitals als jenes Verhältnis, bei dem "alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige entweiht" wird.

Islamic Finance erhebt also Einspruch gegen das Kapital als allgemeine Verdampfungsmaschinerie. Hier soll der religiöse, der ethnische Partikularismus Platz mitten im Herzen des Kapitals, bei dessen Finanztransaktionen erhalten - im Besonderen bei jenen, deren Gewinne sich dem reinen Geldumlauf verdanken, Marxens "Geld heckendes Geld". Es ist die Rückkehr alter Bindungen inmitten des abstraktesten Geldverhältnisses. Ist der Kapitalismus also doch keine endlose Universalisierungsmaschine, die alle Differenzen, die in ihn eingespeist werden, in abstrakte Geldbeziehungen verwandelt - und als "einziges Band zwischen Mensch und Mensch () das nackte Interesse, die gefühllose bare Zahlung" kennt, wie es bei Marx heißt?

Dazu muss sich erst klären, ob dieser Einzug einer religiösen Moral ins Finanzgeschäft, ob die moslemische Tradition hier tatsächlich eine partielle Regulierung bedeutet, oder ob nicht vielmehr diese Tradition als solche in den Markt integriert wird. Sittliches Regulativ oder neues Marktsegment? Zwingen die Moslems ihre Rechtsordnung, ihre moralischen Vorstellungen zunehmend dem Finanzgebaren auf oder bilden sie einfach eine neue Kundenzielgruppe?

Können sie im weltweiten Finanzgeschäft ihren Partikularismus aufrechterhalten, oder ist dieser Partikularismus nur ein neues Zielgruppenmerkmal? Kurz: Wird bei Islamic Finance der Islam bedient oder der Kapitalismus? Das Spiel ist offen.

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5 Kommentare

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  • J
    Jengre

    Wie in anderen Kommentaren schon angedeutet: Letztlich finden die islamischen Banken nur Konstrukte, die den Zins ersetzen, aber dennoch welcher sind. Der undifferenzierte Oberbegriff "Zins" im Rahmen von Kreditgeschäften ist auch irreführend. Wenn ein Akteur auf Kapital täzsächlich zeitweise zu Gunsten eines anderen verzichtet und das Risiko eingeht, es nicht zurückzuerhalten, dann ist Zins natürlich gerechtfertigt, egal was Religionen dazu sagen. Banken jedoch tin genau das eben nicht. Die Grundidee war es, nicht mehr Gold zu verleihen, sondern einen Schuldschein auf Gold: Das Papiergeld. Noch im 19. Jahrhundert haben in den USA individuelle Banken welches gedruckt. Heute werden bei Kreditvergabe die Kreditsummen auf den Girokonten der Kreditnehmer von den Banken geschaffen: Giralgeldschöpfung. Joseph Huber (Uni Halle) hat vorgeschlagen, wie das Papiergeld auch das Giralgeld zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erklären und seine Entstehung zur Zentralbankaufgabe zu machen. Das wäre ein historisch folgerichtiger Schritt, über den das Nachdenken mehr lohnt als über nur dahergetrickste "Zinsfreiheit", die auf religiösen Zwangsgedanken fußt.

  • EO
    egon olsen

    Das Problem ist nicht der Zins an sich, obwohl auch die Jünger Jesu früher den Zins ablehnten und die Juden (im geschichtlich exakten Sinne, heute sind Wucherer durchaus oft alles andere als Juden) aus ihren Tempeln vertrieben. Das Problem kan auch mit Schwund- oder Freigeld nicht gelöst werden. Das Problem ist die Geldkonzentration bei wenigen und Armmut bei vielen, die extreme Ungleichverteilung. Diese führt zwingend zur Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Banken mögen sich ja freuen fast nur noch Schuldner zu haben, aber damit haben sie überwiegend illiquide Aktiva und tanzen auf dem Krater des Vulkanes.

  • AZ
    A. Z.

    Wo es keine Trennung zwischen Staat und Kirche gibt, muss, wer mit dem Staat (oder mit dessen Bürgern) ins Geschäft kommen will, natürlich auf Kompatbilität seiner An- mit religiösen Ge- und Verboten achten, auch wenn das der sofortigen und vollständigen Befriedigung der eigenen Interessen eher hinderlich ist. Selbstdisziplin ist ja keine Erfindung von Leuten, die sich selbst nicht leiden können, sondern eher eine derjenigen, die über den Augenblick hinaus denken, wenn sie ihren Vorteil suchen. In sofern wundert es mich nicht, wenn die Banken (wer immer das im Einzelnen sein mag) nach Wegen suchen, ihren Einflussbereich auszuweiten, indem sie sich religiös-moralisch geben. Dass sie es nur so lange wirklich sind, wie sie sich davon einen Vorteil versprechen, liegt in der Natur des Menschen. Ich finde allerdings, wir können es auch hier ruhig mit der Ringparabel versuchen: Sollen die Finanzwirtschaftler doch zeigen, was an ihrer These von der segensreichen Wirkung globalisierter Finazmärkte dran ist! Immerhin ist ja die Hoffnung auf ein materiell besseres Leben ein altbewährtes Mittel gegen religiös begründete Todessehnsucht. Und Leute, die dem Glauben an den Zins (oder an etwas in seiner Wirkung vergleichbares) anhängen, sind mir noch allemal sympathischer als Leute, die durch den Verkauf von Waffen an religiöse Eiferer und sonstige Idioten reich werden wollen. Moral ist schließlich nichts, was man aus alten Büchern ablesen kann. Moralisch handelt grundsätzlich nur, wer dabei ohne Menschenopfer auskommt. Wären das ausnahmsweise mal die Banken, wäre es mir Recht.

  • MP
    Martin Pöttner

    Nicht nur im Islam gelten diese Maßstäbe. Auch Judentum und Christentum vertreten diese in ihren Heiligen Schriften, sie sind aber nach der Entwicklung des Kapitalismus zurückgetreten.

    Vielleicht bietet das Auftreten muslimischer Banken ein Inzentiv, hier wieder anzuknüpfen.

    Ansonsten wird die Position der Zinslosigkeit von anarchistischen und libertären Positionen vertreten, bis hin zur ausführlichen Erwägung in Keynes, Allgemeiner Theorie. Bei der Zinskritik geht es Reichtumskritik, der sich immer an bestimmten Stellen sammelt, etwa in bestimmten Hochhäusern in Frankfurt/M.

  • ML
    Manfred Leickel

    "Der Widerspruch einer Bank mit Zinsverbot soll durch Gewinnbeteiligung umgangen werden."

     

    Na fein, aber woher kommen die Gewinne? Irgend jemand muß dafür bluten. Und ob man das dann Zins oder sonstwie nennt, ist ziemlich egal. Wo immer jemand Gewinn macht, hat hinterher ein anderer weniger in der Tasche.

     

    Wieso findet sich im Falle der Vatikanbank die Religion auf Seiten der Akteure? Weil sich Ratzeputz und seine Römlinge die Religion zurechtgebogen haben. Eigentlich beinhaltet auch die christliche Religion ein Zinsverbot. Genau deshalb befand sich ja das Bankwesen vergangener Jahrhunderte vornehmlich in jüdischen Händen. Die durften nämlich. Aber: Pecunia non olet, und Neid läßt die religiösen Grundsätze sehr schnell in den Hintergrund treten.

     

    Natürlich ist das Kapital moralfrei. Aber eben nicht der Kapitalist. Da liegt die Crux, wenn die Kapitalströme keinerlei Kontrolle unterworfen sind. Daran ändert auch Religion nichts.