Kolumne Habseligkeiten: Das asoziale Spartenprogramm
Facebook bekommt Konkurrenz, und zwar von Google+. Aber gieren die Menschen vielleicht ganz umsonst nach dem Eintritt in das neue Netzwerk?
I ch war neu, ich war allein und ich war auf der Suche nach einem CSU-Kartoffelfest, das ich besuchen konnte. Auf Facebook hatte ich ganz viel davon gehört und gelesen, aber bei Google+, wo ich Stunden zuvor Mitglied geworden war, sah ich überhaupt niemanden, der daran teilnehmen wollte. Lag es daran, dass man zum Kreise der Google+-Benutzer freundlich eingeladen werden muss und dieses Vorgehen zivilisiert? Man möchte ja nun nicht denjenigen blamieren, der einem diese heißbegehrte Einladung geschickt hat, Google ist mächtig und kann einem ja zwar jetzt noch nicht, aber vielleicht in zwei, drei Jahren einfach den Internetzugang sperren. Gott, allmächtiger!
Dank einer Einladung hatte ich nun nicht nur ein eigenes Facebook-Profil, sondern war endlich in Besitz eines Google+-Kontos gekommen. Danach leckten sich ja letzte Woche noch alle so sehr die Finger, dass landauf, landab tausende von Touchscreens von Spuckefäden überzogen wurden.
Meiner Meinung nach gierten diese Menschen ganz umsonst nach dem Eintritt in die Google+-Welt. Die Seite sieht nach nichts aus und ich wurde allein schon von all den vielen Begriffen und Optionen verwirrt. Es gab Sparks und Streams und Huddles, aber nirgendwo einen "Gefällt mir"-Button. Und dann diese Kreise, mithilfe deren man plötzlich seine Umgebung wieder säuberlich einteilen soll. Was war denn der Vater, mit dem ich häufig auf dem Spielplatz plausche? Ein Freund? Oder Bekannter? Sollte ich ihm "nur folgen"?
ist Redakteurin im taz-Ressort "Gesellschaft, Kultur, Medien".
Dauernd kam die Nachricht, ich sei von jemanden bei Google+ hinzugefügt worden, und jedes Mal begann ich zu grübeln. Was, wenn ich nun diesen Kontakt zu den Bekannten packte, er mich aber als Freundin sähe. Wäre das nicht peinlich, wenn das herauskäme? Um mir das Leben einfach zu gestalten, beschloss ich, alle Kontakte in den Kreis meiner "Freunde" zu stecken. So muss ich nicht bei jedem fünf Minuten lang über unsere tatsächliche Beziehung nachdenken und komme wieder zu den anderen schönen Dingen des Lebens wie Freecell spielen oder skypen.
Bei Facebook kann ich sehen, wer so deppert ist und sich tatsächlich jeden Tag eine Glücksnuss knackt. Bei Google+ beobachtete ich nur die Baustelle eines Freundes. Bauzaun steht, Bauzaun verweht und steht, und so weiter. Spartenkanalprogramm eben, während bei Facebook die breite Masse bedient wurde. Nur dort fand ich solche Leckerbissen wie den Youtube-Link zu Zanger Rinus mit seinem holländischen Smashhit "Met Romana op the Scooter". Herrlich, ein Filmchen, das gute Laune macht, aber ich schweife ab, so ist das bei sozialen Netzwerken.
In den Zeitungen las ich täglich Jubelberichte über den phänomenalen Erfolg von Google+ und ich fühlte mich ein wenig wie jemand, der den Schritt aus seiner schäbigen Stammkneipe wagt und in die unbekannte Bar gegenüber wechselt. "Ist da jemand?", fragte ich ins Nichts hinein. Es kam keine Antwort, ich wurde betrübt. Noch mehr betrübte mich nur, dass die CSU ihr schönes Kartoffelfest absagen musste. Es hatten wohl zu viele Menschen zugesagt. Bei Google+ wäre das nicht passiert.
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