piwik no script img

Kolumne Gott und die WeltEine Frage der Ehre

Kolumne
von Micha Brumlik

Über Reputation und Wahrheit in der Wissenschaft - und darüber, warum Götz Alys Professur-Antrag abgelehnt wurde.

D ie Wissenschaft kommuniziert über mindestens zwei Codes: Über "Wahrheit" und "Reputation". Während "Wahrheit" ein leicht verderbliches Gut ist, da es ja Ziel der Wissenschaft ist, sich stetig selbst zu überholen, scheint "Reputation" haltbarer zu sein: "Reputation" wird nicht irgendwelchen unwiderlegten Annahmen über Zustände der Welt zugesprochen, sondern jenen Personen, die diese Annahmen machen und begründen. Ihnen wird bestätigt, dass sie sich vorbildlich angestrengt, besonders anregende Vermutungen formuliert oder ganz neue, überraschende Perspektiven auf ihren Gegenstandsbereich geworfen zu haben.

Ausgezahlt wird die Währung Reputation in Titeln, in Geld oder auch im Zitiertwerden in wiederum besonders reputierlichen Publikationsorganen. "Reputation" ist eine Form der Ehre und die Zuerkennung von "Ehre" eine Form der Anerkennung.

Bisweilen sind mit der Verleihung eines akademischen Titels auch Handlungsmöglichkeiten verbunden: Universitäre Lehrbeauftragte etwa erhalten zwar kaum Honorar, haben aber die Möglichkeit, sich im Dozieren und Diskutieren mit interessierten jungen Leuten zu üben. Ähnlich, aber etwas wertvoller, weil knapper, verhält es sich mit dem Titel des Professors, der bekanntlich in Geld gewogen wird oder nur eine reine Ehre darstellt: eben der "Honorarprofessor". Irgendwo dazwischen notiert der Titel des "Außerplanmäßigen Professors", des "apl. Prof.", der für kein Geld alle Funktionen eines Professors wahrnehmen darf: Forschung, Lehre, Prüfung, Begutachtung.

Ende letzten Jahres wurde für den Zeitgeschichtsforscher Götz Aly am traditionsreichen, politologischen Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin der Titel eines "apl. Professors" beantragt, ein Antrag, der unter anderem durch ein Gutachten des höchst renommierten Historikers Hans Mommsen gestützt wurde. Aly, dessen Arbeiten zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, zum Schicksal jüdischer Opfer sowie zur Finanz- und Wirtschaftsverfassung des rassistischen, nationalsozialistischen "Sozialstaats" Furore gemacht und die etwas behäbig gewordene Zeitgeschichtsforschung aufgemischt haben, hat seine anregenden, wohl begründeten Erkenntnisse außerhalb des Trampelpfades der Institution geschaffen.

Bild: imago/Horst Galuschka
MICHA BRUMLIK

ist Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main und Publizist.

Alys Antrag wurde Ende dieses Wintersemesters nach einigem Hickhack und Gekrampfe mit dem "Argument" abgelehnt, dass es sich bei seinen Arbeiten um Arbeiten historischen, nicht politologischen Charakters handele. Sogar wenn man davon absieht, dass in keinster Weise geklärt ist, was eine unverwechselbar "politologische" Vorgehensweise ist, bezeugt diese Intrige vor allem eines: Unkenntnis der eigenen Tradition und ein Missverständnis des eigenen Fachs, der eigenen Tradition. So ist gar nicht einzusehen, warum die Analyse eines historischen politischen Systems keine Politologie sein soll, warum am OSI zwar Kurse über die politischen Theorien der Antike angeboten werden, aber die NS-Zeit nichts mit Politik zu tun haben soll.

Die von den derzeit am OSI einflussreichsten Professoren, Tanja Börzel und Thomas Risse - der Flurfunk nennt sie mit ihren eigenen Worten "Beutegemeinschaft" - betriebene Ablehnung von Alys Antrag bezeugt vor allem eines: Unbildung und Verkennung der eigenen Disziplin, der politischen Wissenschaft. Unter den nach 1948 herausragenden akademischen Lehrern am OSI sind vor allem Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal und Ossip Flechtheim zu nennen: Ernst Fraenkel, der das Grundlagenwerk zur politologischen Analyse des Nationalsozialismus verfasst hatte, war ursprünglich Arbeitsrechtler; Richard Löwenthal Nationalökonom und Soziologe; Ossip Flechtheim schließlich Jurist und Staatswissenschaftler.

Götz Aly immerhin hatte sich am Otto-Suhr-Institut in Politikwissenschaft habilitiert. Prof. Tanja Börzel übrigens weiß oder wähnt zu wissen, was Reputation ist: Auf ihrer Homepage sind Preise und Stipendien, die sie erhalten hat, penibel aufgelistet: zuletzt der "Preis der Federalist Association der American Political Science Association", nein, nicht etwa für ein Buch, sondern: "für das beste Paper 2007".

Aber sogar wenn man das ganze Ehrgedusel einklammert, bleibt ein wirklicher Skandal, der der politischen Kultur dieses Landes Schaden zufügt und nichts anderes als eine massive Form institutioneller Verdrängung darstellt: Mit der Ablehnung des akademischen Lehrers Götz Aly hat das Otto-Suhr-Institut zu Protokoll gegeben, dass Erkenntnisse über das politische System des Nationalsozialismus für Politikwissenschaftler unerheblich sind. Könnte ja sein, dass derlei die schöne neue Welt der "Governance" stört. Der neue Präsident der FU sollte sich Sorgen machen: Wenn am OSI noch lange so weitergewirtschaftet wird, ist der Laden verramscht und - nun sind wir doch wieder bei der Ehre - das Renommee der FU ernstlich angekratzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

7 Kommentare

 / 
  • O
    OSIaner

    wie schon "das orakel" schrieb, werden hier dinge miteinander vermengt: einerseits die ablehnung von götz alys apl-professur, andererseits die schöne neue welt des professor_innen-ehepaars börzel und risse.

    ersteres hat mehrere gründe: z. b. der geschichtswissenschaftliche charakter von alys werk(en). das sagt noch nichts über die qualität aus, sondern über die methodik - und bekanntermaßen hat die FU auch ein geschichtsinstitut, an dem aly sicherlich besser aufgehoben wäre. darüber hinaus hat sich aly mit seiner völlig verfehlten gleichsetzung von SA und 68ern in den augen vieler institutsangehöriger (quer durch alle statusgruppen) unmöglich gemacht. und schließlich und letztens geht auch eine apl-professur zu lasten der äußerst begrenzten mittel des OSI - stichwort ruhestandsbezüge.

     

    zweiteres ist aber nun eine ganz andere baustelle. die ablehnung alys ist dabei - um im bild zu bleiben - höchstens die maurerkelle, während die abschaffung der politischen ideengeschichte, die skandalöse mittelverteilung (die arbeitsbereiche von börzel und risse verfügen ca. über die hälfte!! aller personalstellen) und das gezielte verarmen-lassen der lehre die großen baumaschinen darstellen.

  • DO
    Das Orakel

    Hier werden Dinge miteinander vermengt.

     

    Richtig ist, dass Risse und Börzel von vielen Leuten für den Untergang des Instituts verantwortlich gemacht werden, bzw. die Neuausrichtung hin zu einem reinen IB-Institut vorantreiben.

     

    Falsch ist, dass deswegen die abgelehnte Berufung von Götz Aly nicht aus nachvollziehbaren Gründen erfolgt sein kann.

     

    Man munkelt, dass Götz Aly dem Fachbereich auf Geheiß des Präsidiums aus Gründen der Reputation seit Jahren aufgedrängt wird, während schon erfolgte Berufungensverfahren bzw. Entscheidungen zur Aufnahme von Berufungsverfahren durch den Fachbereich etwa im Falle von zwei Hochschullehrern brüsk durch das Präsidium auf Eis gelegt wurden. Dann würde es sich um einen Doppelstandard halten.

     

    Zudem handelt es sich bei einer Berufung nicht um eine zwingende Anordnung sondern um eine Prüfung, welche Raum für unterschiedliche Beurteilungen lässt. Es lässt sich bestimmt trefflich darüber streiten, ob Götz Aly die Befähigung zur aplizierten Professur hat, wenn man berücksichtigt, dass dafür nicht nur die politiwissenschaftliche Verortung, sondern auch das Label der Wissenschaftlichkeit, ebenso wie die Frage der Übernahme von Lehraufträgen eine Rolle spielen. Genau diese Diskussion wird man sich wohl auch am Fachbereich gestellt haben - und eben zu einer negativen Entscheidung gekommen sein.

  • R
    Rami

    Ist doch schön, wenn man nen Fürsprecher wie Brumlik hat. Dann braucht man wohl auch gar keinen politikwissenschaftlichen Sachverstand mehr, wenn man Politikprof werden möchte.

  • R
    reblek

    "in keinster Weise": Herr Brumlik sollte wissen, dass bei "kein" Schluss ist. Wenn er "keinster" schreibt, will er nicht argumentieren, sondern agitieren, was die Übertreibung mit einem nicht existierenden Superlativ einschließt.

    Könnte sein, dass Aly Denunziationsschmöker "Unser Kampf" die OSI-Ablehnung befördert hat, was ich gut verstehen könnte, denn damit hat Aly sein Renommee mächtig dezimiert.

  • G
    gelegentlich

    Sie haben vermutlich recht: eine widerliche Intrige der schwer durchschaubaren Art. Könnte nicht Jemand vom OSI hier ein wenig ,,Kontext" erbringen?

    Von den beiden Professoren habe ich noch nie gehört, von Aly schon. Ich teile nicht seine Meinung. Ein verbogener, gekrümmt gehender ehemaliger 68er, der sich offenbar viel zugemutet hat, am Ende doch noch zu einer bürgerlich reputablen Existenz zu kommen, mit m.E. grotesken Fehleinschätzungen (ich war selbst dabei), auch z.T. in Frankfurt. Egal - so etwas gehört sich nicht. Erst recht nicht, was aus Zeitgenossen von Aly so geworden ist. Ich höre hier auf. Mir wird nicht besser wenn ich daran denke.

  • K
    Karl

    Bei allerlei möglichen Verdiensten von Herrn Aly,

     

    der Mann ist selbst schon ein Fossil.

     

    Ein retadierendes Moment der deutschen Geschichte, zumindest soweit er in immer wiederkehrenen, gleichbleiben konfusen, Artikeln versucht den deutschen Parteienstaat zu rechtfertigen und selbigen schön zu schreiben........sollen Sie doch Kuchen essen, oder so.....

     

    Mir käm der Kerl auch nicht ins Institut! Glücklicherweise bin ich Naturwissenschaftler.

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • N
    nihi.list

    Den wohl entscheidenden - natürlich nicht offiziellen - Grund hat der Autor leider nicht erwähnt.

     

    Aly rennt der linken Flagge nicht gedankenlos hinterher. Er hat es vielmehr gewagt, die Thesen und viele Personen der Alt-68er und deren politischen Nachkommen in Frage zu stellen und teilweise als das zu entlarven, was sie sind/waren. Inhaltsleere Schaumschläger die es sich nach dem Marsch durch die Institutionen im Schoße von Vater Staat schön gemütlich gemacht haben.

     

    So einer hat am OSI nichts verloren, auch wenn man dort natürlich tolerant, weltoffen und der freien Meinungsäußerung verpflichtet ist.