Kolumne Gerüchte: Chinaböller B

Was haben Frauenfußball, Kracher und windelnde Männer gemeinsam? Den Geruch nach Freiheit.

Unser Mathelehrer stürzte mich in das Paradoxon der Geschlechterverhältnisse. Dr. B. äußerte sich ab und an ungefragt vor uns 13-jährigen Backfischen zum Thema Geschlechterrollen und stolzierte dabei auf und ab. "Eine kluge Frau", so Dr. B., "eine kluge Frau zeigt ihre Klugheit nicht, sie wird niemals mit ihrer Intelligenz prahlen." Dr. B. war mit seinen stahlblauen Augen auf unserem Mädchengymnasium eine erotische Sensation. Doch wie sollte ich es anstellen, mich wie eine kluge Frau im Hintergrund zu halten und mich dennoch zu melden, um kundzutun, dass ich die reziproke Inversität zweier Zahlenelemente bezüglich der Subtraktion verstanden hatte? Ein unlösbarer Widerspruch.

Schon Großtante Zilly hatte mich zum Grübeln gebracht. "Zu Männern mussten wir besonders nett sein nach dem Krieg", hatte Zilly erzählt, "die führten sich damals auf wie Graf Koks, weil sie wussten, dass es nur noch so wenige von ihnen gab. Die hatten sich totgeschossen." Sich gegenseitig totzuschießen, um damit den eigenen Marktwert zu steigern - das ist schon eine verwirrende Vorgehensweise.

Die Schlüsselszene hatte ich im evangelischen Kindergarten erlebt. Es war Fasching, die Jungs traten als Indianer verkleidet auf, sie waren halbnackt und trugen aus Kunstleder gebastelte Lendenschurze über ihren Badehosen. Sie hatten ihre Bäuche bunt bemalt und rannten schreiend durchs Haus, ihre Holztomahawks schwingend. Wir Mädchen mussten Faltenröcke tragen und brav am Tisch sitzen. Wir durften uns nur Krönchen aus Pappe aufsetzen und ein bisschen die Lippen schminken. Ich empfand brennenden Neid. Wie gerne wäre ich auch mit bemaltem Bauch halbnackt und schreiend durch den Kindergarten gelaufen, irgendeine Waffe schwingend. Es geht ja überhaupt nicht um die Geschlechterrollen. Sondern um den Zugang zur Lebensfreude.

Deswegen spielte ich später dann lieber Fußball als Gummitwist. Nicht weil ich gerne ein Junge sein wollte, sondern weil man dabei rennen, schreien und treten durfte. Die Knäckebrotfirma "Wasa" veranstaltete damals, Ende der 60er-Jahre, zu Werbezwecken ein Fußballquiz. Wer alle Fragen auf den Bögen richtig beantwortet hatte, bekam eine von Uwe Seeler himself unterzeichnete Urkunde zugeschickt, in der bescheinigt wurde: "Er erfüllt alle Voraussetzungen, ein guter Fußballer zu sein."

Ich besaß bald auch eines dieser Zertifikate, meinen Vornamen hatte ich nur abgekürzt angegeben, aus Angst, keine Urkunde zu kriegen, wenn zutage trat, dass ich ein Mädchen war. "B. Dribbusch erfüllt alle Voraussetzungen, ein guter Fußballer zu sein." Noch heute habe ich die Hochglanzpappe mit der Goldschrift und dem dunkelgrünen Rand.

Die Sache mit der Urkunde fiel mir wieder ein, als unter meinen Freundinnen darüber gelästert wurde, was für eine Riesenangeberei es doch sei, dass nicht wenige Männer, kaum dass sie mal ein bisschen Elternzeit nehmen und sich nur ihrem Nachwuchs widmen, gleich Bücher darüber schreiben und sich wichtig machen müssen. Ich finde, die windelnden Männer dürfen das. Denn auch das gehört dazu, wenn man aus den alten Geschlechterrollen aussteigt: Es wirkt immer ein bisschen schräg. Aus der herkömmlichen Perspektive.

"Sind ja krasse Mannsweiber", sagt Britts Sohn Johannes. Wir sitzen bei Britt in der Küche und schauen uns das Endspiel der Weltmeisterschaft im Frauenfußball an. Ich habe in der ersten Halbzeit gedacht, die Mädels schaffen es nicht, das Spiel zu drehen. Doch dann. 2:0. Gewonnen. Weltmeisterschaft. Mal eben so. Ich öffne die Balkontür, kein Ton ist zu hören, wo es doch sonst zur Fußballzeit aus dem Mietshaus gegenüber immer grölt und böllert.

Kurz darauf stehen Britt und ich auf der Terrasse. Wir haben Johannes eine nicht verfeuerte Rakete und einen Chinaböller B vom letzten Silvesterfest abgeschwatzt. Einsam steigt die Rakete in den Himmel. Dann kracht der Chinaböller. Es riecht verbrannt. "Toll", sagt Britt. Genau. Es ist schön, wenn wieder ein Stück Leben dazugewonnen ist.

Fragen zur Freiheit? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfrieds heißer ÖKOSEX

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