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Kolumne GerüchteUnterprivilegiert im Villenviertel

Alles eine Frage des vergleichens: Wie es auch Gutverdiener schaffen, sich arm zu fühlen.

I n einem Buch über Armut erzählte ein 55-jähriger Langzeitarbeitsloser, wie er morgens durch den Wald joggt, sich an den Lichtstrahlen zwischen den Bäumen erfreut und dann denkt: "Schau dir mal im Fernsehen die Leute in Afrika an. Die hungern. Im Vergleich dazu geht es mir doch noch ganz gut." Sich "nach unten" zu vergleichen, ist eine Trosttechnik. Aber es gibt auch das Gegenteil. Und damit sind wir beim Kernproblem des deutschen Sozialstaats.

"Baden-Württemberg !", sagte S., "dort haben die Ärzte im Schnitt verloren. Erst recht die HNO-Ärzte. Da hat jeder fünfte im Vergleich zum Vorjahr ein fettes Minus gemacht. Und dann erklär mir mal, wen ich im September noch wählen soll."

S. ist ein Jugendfreund, Facharzt, in diesem Sommer habe ich ihn mal wieder besucht. Er ist ein warmherziger Mensch voller schwäbischer Gastfreundschaft. Aber irgendwann muss etwas falsch gelaufen sein in seinem Leben. Vielleicht war es ja der Umzug vor einigen Jahren mit seiner Familie in ein teures Villenviertel in einer schwäbischen Metropole. S. fand sich plötzlich in einer Umgebung wieder, in der er nicht nur einen hohen Hauskredit abzahlen musste, sondern auch noch umgeben war von Leuten, die zumindest zur Hälfte offenbar mehr Geld besaßen als er.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

Von da an ging es abwärts in der Seele meines Schulfreundes. Ja, sein Haus mit dem Garten, gut und schön. Wenn da nicht die Sorge wäre, die Villa könnte dramatisch im Preis verfallen, weil es der Autoindustrie in der Region so schlecht ginge. Und wäre ein Haus weiter weg von der Hauptstraße am Park nicht noch erheblich wertbeständiger gewesen?

Nein, wegziehen, käme nicht für ihn in Frage. Schon wegen der guten Schule hier für die Kinder. Doch der finanzielle Druck nehme zu. Mit den Einnahmen in der Praxis durch die gesetzlich Versicherten "geht es nur noch abwärts". Einen Beweis dafür liefere auch die Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nach der Ärzte durch die Honorarreform zwar im Durchschnitt gewinnen, in Ländern wie Baden-Württemberg oder in Fachgruppen wie bei den HNO-Ärzten aber in manchen Praxen im Vergleich zu 2008 weniger verdienen. "Ohne Privatpatienten", sagt S., "läuft nichts mehr."

S. Dilemma hat der Sozialphilosoph Nassim Nicholas Taleb beschrieben. Man verdient gut, zieht in eine bessere Umgebung, trifft auf reichere Leute, und schwupps, schon fühlt man sich benachteiligt. Klar, dass für S. eine weitere Umverteilung der Arzthonorare von West nach Ost oder gar eine Erhöhung der Einkommenssteuer "also nun überhaupt nicht in Frage kommt".

"Das ist vielleicht das Problem, dass die Maßstäbe so durcheinandergehen", sagt meine Bekannte F., als ich sie in Kreuzberg besuche. F., eine mäßig verdienende Behindertenpädagogin, hat laut Professor Taleb alles richtig gemacht. Sie ist stadtviertelmäßig abgestiegen und fühlt sich in ihrem Dachgeschoss samt Terrassenausblick nun als eine Art Kreuzberg-Oberschicht. Ja, die vielen Hartz-IV-Empfänger im Kiez, die nehme sie natürlich wahr, sagt F. Aber es gebe auch Mittelschicht, "die Bioläden und so". Manchmal, meint F., meldeten sich angesichts der armen Umgebung auch diffuse Schuldgefühle. "Aber deswegen ziehe ich nicht weg." Zumal umziehen ja auch ein Risiko sein kann.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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