Kolumne Fernsehen: Keine Angst vor George W. Bush
US-Journalisten sind mutiger als ihre deutschen Kollegen - sie haben einfach weniger zu befürchten.
Bettina Gaus ist Afrika-Kennerin, Buchautorin und politische Korrespondentin der taz
Einen letzten Rat wolle er dem Präsidenten noch geben, erklärt Keith Olbermann: "Diesen Rat, Mr. Bush: Halten Sie verdammt noch mal den Mund!" Vorher hat der Moderator der Late-Night-Show "Countdown" auf MSNBC - dem drittgrößten Nachrichtensender der Vereinigten Staaten - geschlagene zwölf Minuten lang verbal auf das Staatsoberhaupt der USA eingedroschen. In einem Online-Interview mit Yahoo und Politico.com behauptete George W. Bush am 13. Mai 2008, die größte Herausforderung bestünde derzeit in dem "weltanschaulichen Kampf gegen kaltblütige Killer, die Leute umbringen, um ihre politischen Ziele zu erreichen".
Dazu erklärte Olbermann: "Dämmert es Ihnen immer noch nicht, Mr. Bush, dass es in dem Amerika, das Sie geschaffen haben, kaltblütige Killer gibt, die Leute umbringen, um ihre politischen Ziele zu erreichen? Einige arbeiten für Sie - oder haben für Sie gearbeitet, die eines Tages wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden könnten. Dringt es immer noch nicht durch Ihren Dunstschleier aus Selbstbeweihräucherung und Selbstmitleid, dass diese Nation den Irak in Schutt und Asche gelegt hat, um Ihre politischen Ziele zu erreichen?"
Süchtig kann man werden nach politischen Fernsehsendungen in den USA. Wenn man wie ich monatelang die Gelegenheit hatte, dort die Wahlberichterstattung und die wachsende, beißende Kritik an George W. Bush zu verfolgen und dann für einige Wochen das Land wieder verlässt, fehlt einem etwas. Gesegnet seien YouTube und die Huffington Post, das Methadon für Fernsehjunkies bei vorübergehender Abwesenheit. Oh ja, es gibt schauerliche Sendungen in den Vereinigten Staaten. Das ist so selbstverständlich, dass es eigentlich keiner Erwähnung bedarf. Wo gibt es die nicht?
Die Überraschung besteht im hohen Niveau vieler anderer Sendungen - und vor allem in der Furchtlosigkeit mancher Journalisten in den USA. Zum Beispiel eben Keith Olbermann. Den Terrorismus von al-Qaida im Irak habe George W. Bush überhaupt erst erschaffen, sagt der Moderator. Der Präsident habe dafür gesorgt, dass sich die gesellschaftliche Infrastruktur im Irak aufgelöst habe und durch einen amerikanischen Vizekönig ersetzt worden sei, dessen Regeln von gnadenlosen Söldnern durchgesetzt würden, "die unbewaffnete Irakis erschießen und sich dann hinter Ihren Rockschößen verstecken, Sir, um der Strafverfolgung zu entgehen".
Erinnert sich jemand? Im Herbst 2001 hat der damalige "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert in einem Zeitungsartikel die Denkstrukturen von George W. Bush und Ussama Bin Laden verglichen und beiden Intoleranz vorgeworfen. Ausdrücklich fügte er hinzu: "Bush ist kein Mörder und Terrorist." Das reichte nicht. Ein Sturm des Protests fegte durch die Republik. Gefeuert müsse Wickert werden, forderten prominente Politiker der Union, untragbar sei er geworden, vom Bildschirm müsse er verschwinden, weg mit ihm, weg, weg! Wickert bewies, dass er zumindest die Machtstrukturen in Deutschland verstanden hatte, und entschuldigte sich öffentlich. Ihm wurde verziehen.
Wenn man Keith Olbermann zuhört und zusieht, dann ist es sehr schwer vorstellbar, dass er sich seine Meinung je verzeihen lassen möchte. George W. Bush behauptete in dem Online-Interview, aus Respekt vor Angehörigen gefallener Soldaten das Golfspiel aufgegeben zu haben. Es gibt Hinweise darauf, dass die Entscheidung in Wahrheit eher einer Knieverletzung geschuldet war als dem Mitgefühl mit trauernden Familien, aber darum geht es Keith Olbermann nicht. "Golf, Sir? Glauben Sie, Mr. Bush, diese Familien, interessieren sich für Ihr Golfspiel? Glauben Sie, Sir, sie interessieren sich überhaupt für Sie? Sie, Mr. Bush, haben zugelassen, dass ihre Söhne und Töchter getötet wurden. Sir, um Ihre Solidarität mit ihnen zu zeigen, haben Sie Golf aufgegeben?"
Der Moderator lässt keinen Zweifel daran, dass er andere Entscheidungen für sinnvoller gehalten hätte: Bush hätte den "moralisch und finanziell ruinösen" Krieg beenden können, beispielsweise. Oder aufhören können, über den Irak zu reden, über ein Thema also, bei dem er vermutlich die "am schlechtesten informierte Person der Welt" sei. Oder er hätte als Präsident zurücktreten können. Stattdessen gab er ein Spiel auf. "Das ist das Beste, was Sie fertigbringen?"
George W. Bush ist einer der unpopulärsten US-Präsidenten aller Zeiten. Auch in Deutschland ist er unbeliebt. Aber wie sähe wohl hierzulande die berufliche Zukunft eines Fernsehkommentators aus, der einen Kommentar wie den von Olbermann spräche? Ja, genau so sähe sie aus. Meinungsfreiheit ist relativ.
Any Questions? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch GERÜCHTE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?