Kolumne Fernsehen: Sprechen Sie Säggsch?
Der Osten ist wieder der Reißer, zumindest im "Heute Journal".
K ennen Sie den? Ein Bettler sitzt in der Fußgängerpassage in Leipzig, der Mädlerpassage, und sammelt von morgens bis abends einfach nur Geld ein. Seine Kumpels verfolgen das aus der Ferne mit Argwohn. Am Ende des Tages zeigen sie sich gegenseitig ihre Einnahmen, und der eine ist auf unfassbare 14.000 Euro gekommen. Die Kollegen sind natürlich baff und wollen wissen, was denn auf seinem Schild stand und die Leute so spendabel gemacht habe. Ganz einfach, sagt der: "Bin Wessi und will nach Hause."
"Die hat nicht gerade wirklich einen Witz erzählt?", fragt mein Kumpel Eike fassungslos. Der "Tatort" ist eben vorbei, jetzt gucken wir "heute-journal".
Doch, hat sie, und zwar ganz genau so, wie ich das oben hingeschrieben habe. War, um Maybrit Illner korrekt zu zitieren, sogar noch mal in der ZDF Mediathek. Mit diesem Witz moderierte Illner am Sonntag einen Beitrag an, in dem es um … aber lassen wir sie ruhig selbst erklären, worum es ging: "Sagen wir es glatt heraus: Der Osten war lange Zeit nicht wirklich ein Reißer. Carsten Thurau sagt: Jetzt issers und sogar bei einer so sensiblen Spezies wie den Studenten. Sie kommen zu hunderten, und zwar aus dem Westen."
DAvid Denk ist Medien-Redakteur der taz.
Nein, Sie haben das Thema nicht überlesen, das war das Thema.
Und dann wurde der ZDF-Zuschauer, der es ja schon rein altersmäßig gewohnt ist, seinen Augen nicht immer trauen zu können, Zeuge eines "Säggsch"-Kurses an der Uni Leipzig, wo zum Wintersemester 2010/2011 jeder fünfte Studienanfänger aus dem Westen stammt, "so viele wie noch nie", posaunt der Beitrag. In eingefallener Primatenkörperhaltung, "ein bisschen doof müssen Sie aussehen", sagt die Lährerin - E wird im Sächsischen zu Ä -, intonieren die Kursteilnehmer im Chor exotische Vokabeln des Gastlandes. Und dann sagen zwei von ihnen und die Koordinatorin des Uniprojekts "Abenteuer FernOst" vornamens Nancy noch irgendwas in die Kamera, etwa dass im Osten auch nicht alles perfekt ist (als hätte das irgendwer behauptet!), weil es keine für Ruhrpottler annähernd annehmbare Pommesbuden gibt.
Bin ich humorlos oder sind es die Menschen, die solche Beiträge bestellen, abnehmen und, mit einer launigen Anmoderation versehen, unters Volk bringen?
Ich wünsche mir nun wirklich nicht die Zeiten zurück, als viele Deutsche Karl-Heinz Köpcke für den Regierungssprecher hielten, weil er jeden Abend so offiziös die "Tagesschau" verlas, aber für den Klamauk im ZDF sollten doch bitte schön weiter die Kollegen von der "heute-show" zuständig sein. Mir reicht es jedenfalls völlig, dass das hypermoderne "heute"-Studio so affig ist.
Damit Maybrit Illner nicht wieder anruft und sich bitter beschwert - das macht sie nämlich gern mal -, distanziere ich mich hiermit schon mal von dieser Kolumne. War alles nicht so gemeint, echt nicht.
Sollte ich ein bisschen emotional geworden sein, bestätigt das aber letztlich nur Illners "These" von der "sensiblen Spezies" Student, der ich ja auf dem Papier noch angehöre. Mein schwacher Trost ist, dass selbst gestandene TV-Moderatorinnen mitunter kaum cooler reagieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!