piwik no script img

Kolumne FernsehenEs geht um Tausendstelsekunden

Michael Brake
Kolumne
von Michael Brake

Alle Jahre wieder in epischer Breite: der Wintersport bei den Öffentlich-Rechtlichen.

S pätnovember in Deutschland – die Krankheitssaison beginnt. Und deswegen organisierte ich mir am Freitag eine amtliche Erkältung, kaufte 20 Tüten Saft, räumte den Fernseher ins Schlafzimmer und verbrachte das Wochenende mit den Katzen im Bett.

Wir sahen, von Bella Block bis zu Charlie Sheen, von "Schwer verliebt" bis zu Dokus über den Grazer Schlossberg und Jean Seberg, vom "Kriminalist" bis zu den "Simpsons", viel Unterhaltsames und Aufschlussreiches. Außer bei der ARD. Hier machten bunt gekleidete Menschen in Nadelwäldern komische Dinge, während Kommentatoren von "Anfahrtshocke" und "steil angestellten Skiern" sprachen, dass der Springer "keinen Druck unterm Vorbau" spüre und der Rodler "die Bahn aus dem Hintern" führe.

Denn es war Spätnovember in Deutschland - und die TV-Wintersportsaison hat begonnen. Bis in den Februar wird es nun jedes Wochenende öffentlich-rechtliche Großkampfdoppeltage geben, sieben Stunden Minimum. Wie jedes Jahr werden Dieter Thoma, Norbert König, Tom Bartels, Franziska Schenk und Dutzende weitere Mitarbeiter in bunten Anoraks nach Kuusamo, Lillehammer, Bergisel, Val di Fiemme und in andere Bergdörfer dieser Welt geschickt.

privat
MICHAEL BRAKE

arbeitet als freier Journalist, unter anderem für taz2medien und taz.de.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Sport im Fernsehen. Aber wieso wird ausgerechnet dieser antitelegene Wintersport in derart epischer Breite abgedeckt? Wieso tauchen 90 Prozent der olympischen Sommerdiszipinen bloß genau alle vier Jahre im deutschen Fernsehen auf, während vom Winterprogramm jede popelige Weltcup-Qualifikation gezeigt wird. Es ist mir unbegreiflich.

Rodeln etwa: Da werden um einen Eiskanal herum 20 Kameras angebracht, und alle zeigen, wie ein Schlitten sehr schnell vorbeihuscht. Der Zuschauer starrt derweil auf die Zeitanzeige, wer am Ende vier Tausendstelsekunden vorn liegt. Das kann man sich genauso gut im Videotext anschauen. Beim Riesenslalom, Eisschnelllauf, Bob und Langlauf ist es ähnlich. Die einzige Ausnahme ist Biathlon, bei dem die Fernsehregisseure in den letzten 15 Jahren die Inszenierung von Hektik perfektioniert haben.

Ein möglicher Grund für den Dauerbeschuss aus Kunstschneekanonen: Die Deutschen sind gut beim Wintersport, sie gewinnen viel. Aber das tun sie beim Hockey, Beachvolleyball und Sportschießen auch, und das läuft trotzdem nie im Fernsehen. An den national bekannten Vorzeigesportlern kann es ebenfalls nicht liegen. Oder kennen Sie Felix Loch? Tino Edelmann? Beide haben am Wochenende Weltcups gewonnen. Wie soll man aber auch eine Bindung zu den Wintersportlern aufbauen? Sie sind hinter Schutzbrillen und Funktionskleidung versteckt, und wenn man sie vor die Kameras zerrt, entpuppen sie sich als rotbackige Südbayern, so sympathisch wie austauschbar.

Man muss sich wohl damit abfinden: Wintersport gehört längst zum unhinterfragbaren öffentlich-rechtlichen Standardkanon, genau wie etwa Adelshochzeiten, Volksmusik, Krimis, Lottozahlen, Frank Elstner, Rosamunde-Pilcher-Filme und Reisereportagen aus Russland. Es wird geschaut, weil es da ist. Und weil es geschaut wird, wird es immer da sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • A[
    arne [knega.de]

    Das stimmt, es sollte wirklich einmal eine größere Vielfalt an Sportereignissen ausgestrahlt werden, aber nein, die Sender müssen ja immer alle das gleiche bringen und das Jahr für Jahr.

  • J
    Jojas

    "[...[ und frage mich ob Katzen im Bett wirklich sein müssen." Die Frage kann ich Ihnen beantworten: Ja, unbedingt!

  • O
    Oppi

    Lustigerweise boykottieren die öffentlich-rechtlichen Sender dann aber die Wintersportart, die in Deutschland jede Woche zehntausende in die Arenen lockt, und deren Feinheiten man einem fußballgewöhnten Publikum wesentlich leichter nahebringen könnte, als die des Skispringens oder Rodelns (wo sie zumeist nur in der Körperhaltung des Sportlers bestehen, was wenig spannend anzusehen ist) - Eishockey.

  • W
    Westerwelle

    Ich sitze vor dem Computer und lese mit Interesse diesen Artikel. Nur kann ich mich nicht mehr entsinnen was dieses "Fernsehen" war und frage mich ob Katzen im Bett wirklich sein müssen. Nebenbei bringt die Werbeanzeige Whiskaswerbung und der Captcha "hund". Das ist mir zu dialektisch! Außerdem wartet Hamid auf mich.

  • B
    Bierbenutzer

    Und wo liegt jetzt das Problem?

    Jeden Samstag kommt die Fussball-Bundesliga in epischer Breite und wenn man bedenkt, dass die Wintersport-Saison nur knapp 4 Monate daert, ist die Sendezeit aufs Jahr gerechnet garantiert nicht höher. Dazu noch diverse Länderspiele und der übliche WM/EM-Hype. So ganz nebenbei kosten die Rechte für die Bundesliga/die WM/die EM/irgendeinen anderen langweiligen Grottenkick deutlich mehr als der komplette Wintersport.

     

    Ich jedenfalls finde, dass es deutlich schlechtere Möglichkeiten gäbe um das Budget zu investieren und die Sendezeit zu füllen.

  • D
    Dominik

    Eine interessante Frage wird hier aufgeworfen - und, wie so oft typisch für die taz, mit ironisch-überlegener Haltung nicht-beantwortet.

     

    Man könnte zum Beispiel, wenn man an die Macht der Zahlen glaubt, Statistiken heranziehen und gucken, wie viele Leute wirklich zugucken - anstatt zu schreiben "Es wird geschaut, weil es da ist. Und weil es geschaut wird, wird es immer da sein."

     

    Außerdem fehlt es M. Brake vielleicht auch, Mutmaßung!, an einem grundsätzlichen Verständnis für die Freuden des Wintersports. Ein Super-G-Rennen, aber auch ein Rodelrennen haben zehnmal so viel Spannung wie ein mittelmäßiger Tatort. Und sie sind selten vorhersehbar!

     

    Aber gut, es steht "Kommentar" drüber...bisschen differenzierter und ambitionierter dürfte es aber schon sein.

  • SW
    Stefan Weh

    Besonders ärgerlich finde ich die Unterstellung, dass jeder Zuschauer die ganzen Alpen-, Alb- und Harzdörfer kennt, und von ähnlichklingenden in Österreich, Süd-Tirol und der dt-sprachigen Schweiz. "Da kommt er, der Schorschl aus See am See/Berg am Berg/Bad Kuf-Uffeln und Groß-Kleinlaut." Ja, pardon, ich kenn den Schorschel nicht und war noch nie im Harz. Auch der Name der Täler ist mir nicht in jedem Fall geläufig.

     

    Captcha: Huhn, HWHn

  • AJ
    Alle Jahre wie der

    Es gibt keine Lizenz-Server. hartplatz-Helden musste Jahrelang im von rot-grün und von und zu Guttenberg geschaffenen Rechtsstaat klagen.

    Mit Lizenzservern könnte nrw.tv und die anderen (nur ein zehntel von Italien) Klein-TV-Sender problemlos Sportsendungen buchen und ausprobieren. Lokalsport hätte ein paar Zuschauer und sonst muss man die Sendezeit an Christen- oder Erotik- oder Shopping-Sender verkaufen. Im April gibts dann das große Geheule ("Wohnzimmer-Invasion der Erotik/Shopping-Sender") im Rahmen der Analog-Abschaltung.

     

    Bei Giga hiess es mal, es gäbe 30(?) offizielle GEZ-Sportarten die aus dem Pool bekommen. Dagegen wäre E-Sports ("Killerspiele"-Wettbewerbe) finanziell gar nicht mal so schlecht. Wohl weil Fußball so viel der GEZ-Milliarden kriegt. Wo bleibt die taz-Statistik dazu ? Flipcam und das Spiel kann per Nachbars Wifi realtime übertragen und dank CCC-DVB-T-Technik auch lokal verbreitet werden. Wenn rot-grün bessere Gesetze gemacht hätte.

     

    Davon abgesehen gucken Leute was sie gewöhnt sind und meist Fußball. Von 100 Schülern mit einem Essensgutschein gehen vermutlich 99 zu McDonalds. Von 100 Leuten mit einem Kulturgutschein gehen 80 zu den "kommerziellsten" Veranstaltungen.

  • R
    reblek

    "Außer bei der ARD. Hier machten bunt gekleidete Menschen in Nadelwäldern komische Dinge..." - Wieso "hier", sitze der Autor bei der ARD?

  • C
    Christian

    Herr Brake trifft den Nagel auf den Kopf. Andererseits ist mir die Wintersportberichterstattung immer noch lieber als der ansonsten zelebrierte Fußball-Overkill: 1.,2. und 3. Liga, Champions League, Europa League, Freundschafts- und EM/WM-Qualifikationsspiele der Nationalmannschaften (m/w, U23, U21, U19,...), WM, EM, DFB-Pokal, Liga-Pokal, UI-Cup - und wenn gar nichts mehr geht, ein Freundschaftsspiel des HSV gegen VfL Bochum beim gemeinsamen Winterpausentrainingslager in der Türkei. Dann doch lieber noch mal eine runde Presswurstrodeln mit tiefschürfenden Kommentaren vom Hackl-Schorsch...

  • G
    Gilles

    Der "Rodelsport" erschliesst sich mir auch nicht. Abgesehen von der Konzentration, die aufzubringen ist, sehe ich auch nicht so den sportlichen Aspekt. Bei Schach/Skat muss man sich auch konzentrieren.

    Ein Grund könnte sein, dass die Anlagen in denen der "Rodelsport" ausgeführt wird, eben schon gut mit Kameras/Hotels und Autobahnabfahrten ausgestattet ist, damit die ARD/ZDF-Teams eine angenehme Anreise und Arbeitszeit haben.

  • T
    tazleser_by

    Obwohl ich aus Südbayern komme (oder gerade weil, da ich mich vom Bergwintersport aufgrund Massenskilifte, ApresSki, Hüttendisco, etc. schon vor Jahren verabschiedet habe) und Sport im Fernsehen sowieso nicht leiden kann:

     

    DANKE für diesen Artikel!

  • A
    amo

    teil des reizes ist wohl, dass eben auch die reporter gute arbeit machen. aus dem uniformen heruntersausen noch was zu machen... nicht schlecht.

  • RR
    Robert R

    Fechten hat der Autor vergessen - wird auch nie gezeigt, außer bei Schlag den Raab.

    Da auch mit besserer Kameraführung als bei den 30 Sekunden-Einspielern von einer WM.

  • B
    BobTheBlob

    Ein guter Kommentar, ich möchte nur beim Riesenslalom und anderen Skidisziplinen widersprechen. Da kann jede Kurve spannend sein, denn wenn man sich mit dem Skisport auskennt, erkennt man sofort die kleinsten Fehler in den Linien, was ungemein spannend sein kann. Die Frage ob es der Sportler schafft durch einige gekonnte Schwünge in die vorderen Ränge zu fahren, kann sehr nervenaufreibend sein.

  • M
    Marius91

    Ich find Biathlon echt Sehenswert

  • M
    McThomas

    Und ich schaue es gerne ...

  • H
    hakerle

    Und was ist mit Eishockey? Beachvolleyball gibt es nur am warmen Meer!