Kolumne: Durch die Nacht: Kein Job für Grandmaster Flash
Das zurückgekehrte Bekenntnis zu Vinyl prägt in Berlin auch zunehmend die Event- und Partykultur.
Neulich bin ich bei YouTube auf eine Art Werbevideo eines DJs gestoßen. Unter dem Stichwort „Stilvolle Musik“ werden darin Szenarien einer Gartenparty in Berlin gezeigt, die der Plattenaufleger, der damit für sich wirbt, ausschließlich mit Vinyl anzutreten, ganz offensichtlich mit seinen Künsten beglückt hat.
Man sieht ein paar Leute eher gelangweilt herumstehen, ein Hund springt umher, und auf dem Plattenteller dreht sich eine fiese Schmachtnummer von Kool & The Gang. Die Kamera fokussiert den Stapel an Platten, den der DJ mitgebracht hat, als Nächstes scheint er etwas von den Village People auflegen zu wollen.
Stilvolle Musik ist ganz sicherlich etwas anderes, aber der bekennende Vinyl-DJ scheint sich eben gedacht zu haben, dass er allein dadurch, dass er seine Musik anders präsentiert als der gemeine Laptop-Partyeinheizer, Glanz in jede Hütte oder jeden Garten bringen würde.
Bizarre Folgen
Das sogenannte Vinyl-Revival hat längst bizarre Folgen. Fachmagazine beraten einen ganz ernsthaft darüber, welchen Cocktail man zu welcher Schallplatte trinken soll, Hotels richten „Vinyl Rooms“ ein und bestimmte DJs nennen sich nun eben nicht mehr nur DJs, sondern Vinyl-DJs.
In Rottleben in Thüringen findet sogar Anfang Juli das „I love Vinyl“-Festival statt, zu dem die DJs wie früher ihre Plattenkoffer mitschleppen müssen, weil bei einem Festival mit so einem Namen selbstverständlich nur echte Schallplatten gespielt werden dürfen. Und das zurückgekehrte Bekenntnis zu den schwarzen Scheiben prägt in Berlin auch zunehmend die Event- und Partykultur.
Im Plattenladen Space Hall in Kreuzberg hat vor Kurzem die Berliner DJ Ellen Allien zu ihrem Event „Vinylism“ geladen, bei dem ausschließlich Schallplatten, die die DJ in dem Laden vorfand, zum Einsatz kamen.
Im Badehaus Szimpla in Friedrichshain findet zweimal monatlich die Partyreihe „Vinyl Fieber“ statt, und in der Markthalle Neun in Kreuzberg kann man regelmäßig bei „Breakfast & Vinyl“ brunchen und nebenbei Schallplatten erwerben.
Passend zum Rührei
Vielleicht kann man sich dort ja sogar sein Rührei oder seinen Gemüsesaft auf die Wahl seines Vinyls abstimmen lassen.
Nächstes Wochenende lädt zudem der DJ André Galluzzi zu seinem Clubformat „We Play Vinyl“ im Watergate. Aufgefordert werden hier explizit auch DJs, die sich längst von der Schallplatte verabschiedet haben, sich mal wieder an den guten alten Plattenspielern zu versuchen, auch wenn sie vielleicht gar nicht mehr wissen, wie man die Geräte überhaupt anschaltet.
Wegen der Liebe zur Schallplatte gibt es all diese Vinyl-Mottoevents, wegen deren Aura und weil es so schön aussieht, wenn sich die Nadel auf die schwarze Scheibe senkt, schon klar. Ich frag mich da nur, ob bei einer guten Party nicht lieber weiterhin das Heraufbeschwören von Ekstase und nicht das Bekenntnis zu einem bestimmten Tonträgerformat im Vordergrund stehen sollte – auch wenn Ellen Allien und André Galluzzi natürlich ganz hervorragende DJs oder meinetwegen auch Vinyl-DJs sind.
Eigentlich dachte ich sowieso, die ermüdenden Debatten darüber, mit welchem Equipment ein DJ die Massen beglückt, seien endgültig vorbei.
Der CD- oder Laptop-Jockey, der sich mit Hilfe von Software sein Set zusammenmixt, hatte sich eigentlich bereits durchgesetzt und die meisten Clubs ihre Plattenspieler eingemottet, die Dinger kamen ja eh kaum noch zum Einsatz.
Selbst Grandmaster Flash, der Übervater der DJ-Kultur, hat irgendwann damit aufgehört, mit Schallplatten aufzulegen. Bei der nächsten Gartenparty in Berlin, bei der dann wieder „stilvolle Musik“ gefragt ist, würde er deswegen den DJ-Job wahrscheinlich gar nicht mehr bekommen.
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