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Kolumne Die Farbe LilaDas ist keine Pipi-Kacka-Geschichte

An der Windelfrage kommt man nicht vorbei, wenn man Nachwuchs erwartet.

K eine Pipi-Kacka-Geschichten!, lautet die grundlegende Konversationsregel, die ich mir vor der Geburt des Kindes verordnete. Trotzdem muss das Thema Windeln auf den Tisch. Beziehungsweise das Thema: keine Windeln.

Bevor das Kind bei uns einzog, haben wir kurz mal darüber nachgedacht, ob wir es in Baumwollwindeln kleiden sollten. Es erschien uns ökologischer Wahnsinn, zwei Jahre lang jeden Tag fünf bis sieben Windeln in den Müll zu werfen. Aber dann fanden wir heraus, dass auch das ganze Gewasche der Baumwollwindeln nicht so viel umweltfreundlicher ist. Und fanden gleichzeitig die Aussicht wenig attraktiv, täglich mit vollgekackter Baumwolle zu hantieren. Damit waren die Baumwollwindeln aus dem Rennen.

Im Onlinebücherladen begegnete mir die Superökolösung: das Buch "Es geht auch ohne Windeln! Der sanfte Weg zur natürlichen Babypflege". Ich las dem Mann die Inhaltsangabe des Buches vor und wir lachten uns gemeinsam kaputt. Funktionieren soll das Ganze nämlich so: Man müsse sein Kind nur genau genug beobachten, dann würden einem veränderte Mimik und Quietschlaute auffallen, die es immer dann mache, bevor es ein kleines oder großes Geschäft abschließe. In diesem Falle halte man das Kind geschwind über die Toilettenschüssel - und spare sich also so die Windel.

Bild: Stephanie Fuessenich
Susanne Klingner

ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt als Frau Lila.

Ich versuchte mir die vergangenen drei Monate meines Lebens vorzustellen: vor dem Kind hockend, unablässig auf seinen Gesichtsausdruck fixiert und bei jedem neuen Quietschen ins Bad rennend, das Kind am ausgestreckten Arm, Hose runter, übers Klo haltend. Klar, gut definierte Oberarme kriegt man so vermutlich in wenigen Tagen. Aber sonst eher nicht allzu viel auf die Reihe. So ein Kind schließt nämlich viele, sehr sehr viele Geschäfte ab.

Noch während wir lachten, rief Freundin P. an und ich erzählte ihr von den Babys, die schon in einem Alter aufs Klo gehen sollen, in dem sie noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung haben, was ein Klo überhaupt ist. Freundin P. blieb unerwartet ernst und sagte, das Ganze sei im Moment in den USA der letzte Schrei.

Nicht so sehr aus Ökogründen. "Das ist Teil dieses ganzen bescheuerten Zurück-zur-Natur-Booms. Die armen Frauen!" Noch so ein Natur-Trend, der es Frauen wieder ein kleines bisschen schwerer macht, trotz Kind ein halbwegs normales Leben zu führen. Der Stillboom der letzten Jahre war erst der Anfang. Und selbstgekochter Babybrei ist im Vergleich zu der Windelsache nur eine Fingerübung. "Natürlichkeit" und Emanzipation passen manchmal einfach nicht zusammen.

Beim Stillen fällt zwar kein Verpackungsmüll an, aber wenn sich Eltern das Füttern teilen wollen, tut es auch die Packerlmilch. Selbstgekochter Brei ist eine gute Idee, aber manchmal ist eine Stunde Freizeit eine noch bessere Idee. Baumwollwindeln sparen Müll, wer aber mehr Pläne hat als Füttern, Schmusen, Wickeln und Waschen, nimmt halt Wergwerfmodelle. Der Nachwuchs wird es einem später nicht danken, dass er "natürlich" aufwachsen durfte und Mutti ihm 24 Stunden des Tages gewidmet hat. Also trägt das Kind jetzt eine Art Kompromiss, der mein Ökogewissen und meinen Freiheitsdrang einigermaßen vereint: Ökowindeln aus Recyclingzellstoff. So viel Öko muss in diesem Fall reichen.

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10 Kommentare

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  • K
    kompensation_unsolidarisch

    soll diese erst-komm-ich-und-dann-das-baby-propaganda eine feministische haltung demonstrieren? warum dann kinder? weil's so chic zum power-woman-bild passt?

  • S
    suswe

    Stillen erfüllt grundsätzliche Bedürfnisse des Kindes nach Nähe, ist optimal abgestimmte Nahrung (trotz Dioxin- und sonstigem Gehalt, ist auch Nachts ohne aufzustehen verfügbar und Frau braucht keine Fläschchen zu spülen. Was also ist daran unemanzipiert? Wussten Sie schon, dass auch im tiefsten Patriarchat Frauen des "höheren" Standes oft das Stillen verboten wurde? Was ist denn daran emanzipert?

    Einwegwindeln sind trotzdem eine Erleichterung, besonders wenn sie als Ökowindeln bezahlwar wären.

    Emanzipation auf Kosten der Kinder ist auch nur Hinterherlaufen im Systemgetriebe.

  • J
    Juno

    Stillen ist also ein Natur-Trend? Dem Kind Nahrung zu geben, statt es täglich mit demselben Einheitsscheiß abzufüllen ist ein Naturtrend? Dann doch aber bitte konsequent modern bleiben und dem Kind weiter Konserven zubereiten! Was für ein alberner Naturtrend soll denn bitte Nahrung selber zubereiten sein! Dose auf, rein ins Kind, jippie, eine halbe Stunde Freizeit mehr!

     

    Kinder bekommen wir aus reinem Egoismus, sie haben nicht an unserer Tür geklingelt und um Nahrung und Liebe gebeten. Ihnen dann ein paar Jährchen unseres Lebens zu widmen ist wahrlich nicht zuviel verlangt.

     

    Über soviel Blödheit in nur einem Artikel kann man tatsächlich nur den Kopf schütteln.

  • S
    schade!

    Genau diese Einstellung, wie nicht nur diese Autorin sie in der Taz propagiert, war einer der Gründe, mein langjähriges Abo zu kündigen.

    Den Schmarrn kann man einfach nicht mehr lesen, wenn man sich emanzipert fühlt und dabei trotzdem Kinder so großzieht, dass ihre elemantarsten Bedürfnisse gerne erfüllt werden.

  • P
    patrick*star

    wow, junge frau, jetzt hamses den ganzen achselbehaarten ökomuttis aber so richtig mit der groben kelle gegeben. gratuliere! einmal alles rein in den öko-sack und druff, macht spaß und hält fit.

     

    warum nur versuchen sie, handlungsweisen, die sich zunächst einmal dem kind zuwenden und vordergründig überwiegend diesem zugute kommen, gegen emanzipation und partnerschaftlichkeit auszuspielen? das ist unentspannt und unsicher, kindisch im schlechten wortsinn.

     

    stillen verschafft unheimliche zeit- und entspannungsvorteile, mit hilfe von solch obskuren gerätschaften wie milchpumpen lässt sich da sogar eine mehrstündige tägliche abwesenheit vom kind zur berufsausübung problemarm realisieren (erfahrungswerte).

     

    das in dem zusammenhang auch gern praktizierte familienbett (moment, hier haben sie geschlampt, das fehlt ja in ihrer kollektivdresche...) trägt häufig entscheidend dazu bei, dass alle beteiligten des nachts am stück schlafen können, was dem wohlbefinden der eltern überaus zuträglich ist.

     

    wer sich mit selbst gekochtem babybrei beschäftigt, kommt rasch zu der einsicht, dass eine zubereitung desselben nicht lange (wenn überhaupt) nötig ist, sondern dass kinder bald von ggf. leicht abgewandelten erwachsenenmahlzeiten partizipieren können.

     

    und nun zum "windelfrei"-programm. schon mal daran gedacht, dass das in der praxis vor allem in varianten und abstufungen realisiert werden könnte? zu hause, zeitweilig, um tatsächlich ein gefühl für die signale des kindes zu bekommen und dem kind ggf. langfristig ein körpergefühl zu vermitteln, was das spätere trockenwerden unterstützen kann? wegwerfwindeln sind vor allem so lange praktisch, wie man nicht den verschärften entzug durchziehen muss...

     

    ihr text dürfte wasser auf die mühlen verzweifelter personen sein, die verkrampft versuchen, ihren kindern gegenüber etwas zu verteidigen, was diese ihnen gar nicht streitig machen wollen - nämlich das eigene leben.

     

    nun hat es sich aber so ergeben, dass plötzlich die kinder teil dieses lebens sind und darin vorübergehend, für einen sehr kurzen zeitraum, auch eine zentrale rolle spielen müssen. sie können nicht anders... daher werden sie selbstverständlich diese zuwendung nicht "danken", sondern sie im idealfall ihren eigenen kindern in der nächsten generation weitergeben. wer damit nicht hadert und der zeit gibt, was die zeit begehrt, lebt mit sicherheit besser.

  • BT
    Back to Glaskasten

    Ich finde es auch sehr emanzipiert, von vornherein die Flasche einzuplanen. Denn schließlich möchte die moderne Businessfrau ja auch keinen Fall zurück zur Natur oder für rückständig gehalten werden.

    Lieber arbeitet sie ein paar Wochenstunden mehr um den Milchpulverkonzern zu einer guten Bilanz zu verhelfen.

    Das hat dann auch gleich den Vorteil, dass das arme Kind, seine Mutter nicht 24 h um sich herum haben muss, sondern vielleicht nur 2 oder 3.

    Der Rest ist dann eben bezahlte Dienstleistung und passt gut in unser hedonistisches Zeitalter. Wie es dem Kind dabei geht, wird sowieso nicht gefragt, denn die moderne Frau von heute hat sich soweit emanzipiert, dass sie das autoritäre Rollenverhalten, dass sie einst dem Mann vorwarf, nun selbst zur Perfektion praktiziert. SIE entscheidet, SIE weiß es am BESTEN, SIE ist nicht anzuzweifeln, SIE macht sich über alles, was nicht kennt und kennen mag lustig.

    Es ist bezeichnend, dass diese Diskussionen über angeblich umemanzipierte Frauen gerne von kinderlosen Frauen geführt werden.

    Ich als emanzipierte, erwerbsarbeitende, langzeitstillende und windelfrei praktizierende ( bzw. jetzt ist mein Kind sowieso schon lange "sauber") Frau, fühle mich durch den agressiven bzw. ins lächerliche gezogene Ton in der Taz zunehmend beleidigt.

     

    Vielleicht müssen all die Frauen, die so panische Angst davor haben, sich "zuviel aufzuopfern" darauf warten, dass man Kinder in Glaskasten anzüchten kann.

    Denn ich finde diese 24 h SchwangerHAFT immer noch viel zu "back to nature". Komm, Mädels, da geht doch noch was!!!

  • S
    Sonnenkind

    Wir machen alles drei: Stoffwindel zuhause, Wegwerfwindel unterwegs und Topffit (andere Bezeichnung für Windelfrei) wann immer es geht.

    Ich persönlich freue mich über jeden vollgesch....... Pop den ich NICHT saubermachen muß (spart auch ne Menge Zeit); und jede Stoffwindel die nicht gewaschen werden muß, jede Wegwerfwindel die nicht weggeworfen werden muß freut auch meinen Geldbeutel und die Umwelt.

     

    PS: Ich finde es ziemlich unprofessionell über ein Buch zu urteilen, von dem man nur das Inhaltsverzeichnis kennt. Zu dem Thema würde ich außerdem eher das Buch „Topffit“ empfehlen. Ist pragmatischer als „Es geht auch ohne Windel“

  • MN
    M. Nahke

    Selten so einen Blödsinn gelesen!

    Haben Sie sich überhaupt mal gründlich mit dem Thema beschäftigt, sich darüber informiert, wie z.B. bei 123-windelfrei.de?

    Dann würden Sie sich nicht so herablassend äußern.

    Es geht nicht darum Öko zu sein, sondern sein Kind zu verstehen und kennen zu lernen.

     

    Und würden Sie ihr Kind kennen, wüßten Sie auch, dass es funktioniert. Und der Welt wäre ein weiterer unnötiger Das-geht-doch-gar-ni-Beitrag erspart geblieben.

     

    Gruß, M. Nahke

  • K
    Ökomama

    Ich selbst habe windelfrei nicht praktiziert, weil ich die Signale meines Kindes einfach nicht erkannt habe.

    Allerdings kenne ich sehr viele Mütter in meinem Bekanntenkreis, die mit ihren Kindern windelfrei leben und es einwandfrei und vor allem stressfrei funktioniert.

    Ich habe dieses Zusammenspiel von Mutter und Kind immer bewundert und finde es unglaublich frech, die Methode derartig ins Lächerliche zu ziehen!

    Es gibt viele Schattierungen in er Erziehung die mir nicht ins Haus gekommen wären, als ich in einem Buch darüber gelesen habe. Nachdem ich es aber im praktischen Umgang erlebt habe, konnte ich mir meine Meinung völlig anders bilden. Ich bezweifle, daß die Autorin sich näher mit dem Thema windelfrei beschäftigt hat, als einmal das Inhaltsverzeichnis eines Buches aufzuschlagen.

  • K
    kinderlos

    Danke für diese Kolumne!

    Diese ganze "back-to-our-roots" Geschichte wird wirklich ausufernd. Erst letztens fragte mich eine entsetzte (!) Mutter, warum ich überhaupt ein Kind bekommen will, wenn ich in Erwägung ziehe bei einer Geburt Schmerzmittel zu nehmen. Das ging weiter: Ein Kind bekommen wollen, aber dann nicht stillen wollen? Dann sollte frau es doch gleich lassen.

     

    Viel Spaß weiterhin beim Nicht-Baumwoll-Windeln wechseln :)