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Kolumne Die ChartsLeutnant von Rotteck küsst das Kinn

Die Charts heute mit Folge II von "Das Content-Department": Mies analysiert den "Kurier der Kaiserin".

Mit einem jovialen Fluch schickte Mies den letzten Text ihrer Seite in die Korrektur. "Was für eine gnadenlose Scheiße", sagte er zu seinem Ressortleiter, "miserabel geschrieben, aber dafür komplett inhaltsfrei." Kern schaute seinen Stellvertreter nachdenklich an. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist, dachte er. Aber seit Mies von seiner Frau wegen Peter Maffay verlassen worden war (Charts vom 14. Januar), war der Sack tatsächlich noch unerträglicher geworden.

Bild: marco limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Was den Text anging, so hatte Kern aus wohlüberlegter strategischer Erwägung einen weiteren verlogenen Kommentar zur Lage nach der Landtagswahl in Hessen verfasst. Darin forderte er die demokratischen Parteien erneut vehement auf, zum Wohle des Landes eine Ampelregierung zu bilden. Ministerpräsident Koch sei desavouiert und müsse erst mal Jahre in sich gehen und sich reinigen von seinem antiliberalen Gedankengut.

Kern war selbstredend scheißegal, ob in Hessen die Ampel oder ein Trampel regierte. Hauptsache, der Rhein-Main-Flughafen würde ausgebaut. Aber er ging davon aus, dass ein Leitartikler mit der siebenhundertsten Forderung nach einer Ampel im progressiv-liberalen Schnarchmainstream nach allen Seiten anschlussfähig blieb. "Die Ampel in Hessen kann Großes bewirken", hatte er seinen Kommentar überschrieben.

Ein bisschen störte ihn der Gedanke, dass Mies ihn vermutlich irrtümlicherweise für einen opportunistischen Mitmacher hielt. Aber er war 33 und konnte nicht ewig Chef eines Zweimannressorts bleiben. Außerdem war Mies irrelevant. Der war ja sogar noch fertiger als der Hesse Koch. Wenn er es richtig einschätzte, dann hatte diese Sorte linksliberaler Durchhänger, die jetzt in ihren Vierzigern war, nie jemand gefährlich werden können - außer sich selbst.

Kern hatte grade eine Unterredung mit seinem Chef gehabt, der ihm und fünf anderen Topjournalisten erklärt hatte, dass er die Redaktion zu einem "Knotenpunkt für Content" weiterentwickeln werde und dass sie das mal gefälligst nach unten kommunizieren sollten. Es ginge darum, "der Gesellschaft zeitgemäß zu dienen", denn das sei es ja, was ihr Geschäft besonders mache. Alle hatten geschwiegen. Nur Kern hatte gesagt, er sei "sehr enthusiastisch".

Als er Mies später erklärte, dass sie beide künftig ein Content-Department seien, fühlte er sich tatsächlich richtig beschwingt. "Wir tragen eine gewaltige Mitverantwortung dafür, dass unsere Inhalte durch Mehrfachnutzung in neue Erlösquellen transformiert werden können", sagte er. Aber Mies hörte mal wieder nicht zu. Erst schrie er einen Korrektor zusammen, weil der das unredigierte Gestammel Kerns der deutschen Sprache annähern wollte. Dann sang er "Sonne in der Nacht". Und schließlich redete er mal wieder stundenlang über die seiner Meinung nach dilanttischen Kussszenen in dem Film "Der Kurier der Kaiserin".

Unmittelbar nachdem seine Frau die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, war Mies ins Internet gegangen und hatte sich bei Amazon alle 26 Folgen der alten ZDF-Serie bestellt, die er in den frühen Siebzigern so geliebt hatte wie in den späten Achtzigern seine Frau. Der leider früh verstorbene Klausjürgen Wussow spielte darin auf unnachahmlich lässige Weise Leutnant von Rotteck, den "Kurier" der österreichischen Monarchin Maria Theresia. Diese Serie analysierte Mies seit mehreren Wochen akribisch. "Gut gemacht", sagte er. "Bis auf die Kussszenen." Er legte eine DVD in den Ressortplayer. Man sah Wussow mit der Tochter des Königs von Frankreich rumhantieren.

"Daaa!", schrie Mies und drückte die Pausentaste: "Der Herr Leutnant hat seinen Mund auf dem Kinn Ihrer Majestät." Das sehe man "ganz deutlich".

Der Ressortleiter holte seufzend vier Gurkenscheibchen aus einem Tütchen. Dann überlegte er, welchen Kollegen einer anderen Zeitung er anrufen konnte, um daran zu erinnern, dass es ihn gab.

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