Kolumne Der Zuckerberg Teil 11: Andere Meinungen
Die Haltung exotisch Andersdenkender auf Facebook führt zu nichts Gutem – vor allem, weil nicht wie früher ein Bier zwischen den Meinenden steht.
F acebook. Ein alter Hut mit vielen bunten Federn. Angesichts der versammelten Pracht von Schreiadler, Vollmeise, Schluckspecht, Trollvogel sowie praktisch sämtlichen Kauzarten soll diese Serie für den nötigen Durchblick sorgen.
Freunde, die über viel Zeit und starke Nerven verfügen, pflegen ein merkwürdiges Hobby: die Haltung exotischer Andersdenkender.
Facebook ist das Terrarium, in dem sich die oftmals recht gewandten, aber tückischen Besserwisser tummeln. Es ist ein aufregender Anblick, wenn besagte Freunde mit ihren in verschiedensten Signalfarben (Blau, Gelb, Braun, Schwarz) schillernden Lieblingen spielen, sie mit waghalsigen Ausgangsposts anstacheln, um sich daran zu ergötzen, wenn die Andersdenkenden dann ihr Gift verspritzen. Es ist auch ein aufwändiger Zeitvertreib, denn die Querdenker brauchen immer neues Futter: linke, libertäre oder gar vernünftige Meinungen – sie müssen ständig aufs Neue gereizt werden, sonst werden sie träge und ziehen am Ende zur Achse des Guten weiter.
Apropos Querdenker. In der aktuellen Gewichtung von Pro und Contra, ist #MeToo längst hinter #StellDichNichtSoAn verschwunden. Inzwischen sind gefühlte 80 Prozent der Artikel kritisch und, Fähnchen stramm im Wind, ebenso viele der einschlägigen Posts auf Facebook. Trotzdem gebärdet sich die Contra-Fraktion der „Jetzt darf man nicht mehr … sagen/flirten/küssen/atmen/pupsen“ schluchzenden Riesenheuler noch immer wie Widerstandskämpfer. Der einarmige Stauffenberg, der seine Bombe der Wahrheit unter dem Tisch der hysterischen Meinungsdiktatoren platziert. Ihr Sprengstoff ist immer der gleiche: Ein paar Extremhaltungen oder Bigotterien werden herausgepickt und konsequent über den Rest gebrochen, um ihn so als lustfeindliche Inquisition verknöcherter Kampflesben und deren eierloser Steigbügelhalter zu brandmarken.
Die Renner unter den verlinkten Belegen sind entweder Diven von vorgestern, die damit vermutlich die eigene Erinnerung verklären, oder Philosophinnen, die vom Elfenbeinturm des Alpha-Weibchens herab allen den Weg der Erkenntnis durch den Dschungel alarmistischer Projektionen leuchten. Mit Frauen als Kronzeuginnen hoffen die Skeptiker besser zu punkten als mit Männern.
In den Zeiten vor Facebook und Co. hatten die Leute doch nie so viele Meinungen, oder? Vor allem nicht so viele verschiedene und erst recht nicht so dermaßen andere als ich. Schwarz auf weiß ausformuliert und ständig wiederholt sieht die andere Meinung ganz besonders hässlich aus.
Wenn früher jemand, den man eigentlich mochte, eine andere Meinung hatte, warf man einander am Biertisch zwar grobe Worte an den Kopf, von denen man jedoch wusste, dass sie nicht so ernst gemeint waren. Man kannte sich ja. Jetzt, da ich das alles so nüchtern lesen muss, könnte ich den Leuten eigentlich nur noch permanent in die Fresse hauen. Ich hasse andere Meinungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu