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Kolumne Das TuchDie Sehnsucht einer Unnahbaren

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Der Preis für die eigene Freiheit kann manchmal sehr hoch sein. Das weiß auch die regierungskritische Journalistin Lamees, die getrennt von ihrer Familie lebt.

L amees klappt ihren iPad auf und tippt ein bisschen herum. Ihre langen Fingernägel klackern. Das Make-up sitzt perfekt, das Tuch ist festlich um den Kopf geschwungen. Sie geht stolz und gerade, hat ein freundliches, aber bestimmtes, ein herzliches und gleichzeitig distanziertes Auftreten. Sobald wir den Konferenzsaal verlassen, setzt sie ihre große Sonnenbrille auf. Unnahbar.

Wir sind in Washington auf einer Konferenz. Blogger und Aktivisten aus zwanzig Ländern sind geladen. Lamees kommt aus Bahrain. Dort war sie bis vor den Protesten eine der beliebtesten Journalistinnen des Landes. Man lud sie zu festlichen Staatsanlässen und schicken Galas ein. Ihre spitzzüngigen und kritischen Kommentare waren beliebt in dem kleinen Golfstaat. Lamees war Vorbild vieler Frauen, den Jugendlichen war sie eine Stimme. Alles änderte sich schlagartig, als sie sich für die falsche Seite einsetzte: für die protestierenden Bahrainer auf der Straße.

Lamees sitzt vor mir im Bus. Sie ist still, nachdenklich. Der Platz neben ihr ist leer. Sie setzt sich neben niemanden, niemand setzt sich neben sie. Ich kann meinen Blick nicht von ihr lassen. Möchte mich zu ihr setzen, mit ihr sprechen.

privat

KÜBRA GÜMÜSAY, 22, lebt in Hamburg und studiert dort Politikwissenschaften. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".

Wir sitzen wieder in einem Konferenzsaal. Es geht um Meinungsfreiheit. Lamees meldet sich und spricht. Währenddessen steigen mir Tränen in die Augen. "Mein Leben ist mir egal", sagt sie, "aber nicht das Leben meiner Familie." Drei Mal zündete man ihr Haus an, wohlwissend, dass nicht sie anwesend war, sondern ihre Familie. Nach und nach verliert Lamees den familiären Rückhalt. Sie bitten um ihr Schweigen. Derweil erhält sie Briefe und E-Mails von Familien, die um ihre Hilfe bitten. Ihre Kinder sind wegen regierungskritischen Facebook-Statusmeldungen im Gefängnis. "Sprich für uns, Lamees", bitten sie. Sie versucht es. Hin und her gerissen.

Eines Tages ist ihre Schwester, eine Ärztin und Mutter zweier Kinder, nicht mehr da. Die Regierung hat sie entführt. Drei Monate lang sitzt sie für Lamees im Gefängnis und wird gefoltert. Lamees kümmert sich um die Töchter ihrer Schwester, jeden Tag. "Ich sterbe innerlich", sagt sie. "Meine Schwester, sie folterten meine geliebte Schwester." Ihre Stimme zittert, sie entschuldigt sich. Betroffen blicken die Konferenzteilnehmer zu Boden. Lamees fängt sich und spricht kalt und distanziert weiter.

Als wir das Gebäude verlassen, um die Stadt zu besichtigen, sitzt sie alleine in der Lobby. Ich kehre zurück und bitte sie, mit uns zu kommen. Sie lächelt und sagt mit ihrer hohen Stimme und dem arabischen Akzent: "Nein, habibty (mein Schatz), ich bleibe lieber hier."

Am Abend sitzen wir wieder im Bus. Lamees trägt keine schicke Kleidung mehr, sondern Sportschuhe, weite Jeans und eine locker sitzende Bluse. Ich setze mich dieses Mal zu ihr. Wir sitzen schweigend nebeneinander. "Wie geht es dir?", frage ich sie. Sie lächelt milde und nimmt meine Hand. "Als ich in der Lobby saß, sprach ich mit meinen Vater. Ich habe seine Stimme vermisst."

Seit der Inhaftierung ihrer Schwester lebt Lamees in Dubai. Alleine. "Das ist mein Preis", sagt sie. Sehnsucht.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.

8 Kommentare

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  • E
    E.A.

    Selten trifft man in unserer westlichen Welt noch Menschen, die hautnah die grässliche Form staatlicher Gewalt erleben mussten und die trotzdem für Freiheit kämpfen, ja sogar bereit sind zu sterben. Umso mehr trifft es einen emotional umso mehr, wenn man es dann tut...

  • T
    tonio

    Nach den sehr schwachen Kolumnen der letzten Zeit von Fr. Gümüsay, endlich mal ein Artikel mit Inhalt! Sippenhaft ist verabscheuungswürdig und die Intervention der Saudis ist ein eklatanter Verstoss gegen die Menschenrechte. Als Bloggerin sollte Fr. Gümüsay auf die in der dt. Presse unbekannten Vertreter und Vorreiter der islamischen Revolutionen eingehen. Diese bislang in DE "namenlose" Masse hätte die Vorstellung in der breiteren Masse verdient.

  • B
    Bil

    @tazleser:

    hab vergeblich nach einem grund gesucht, ob dein beitrag ironisch gemeint ist. deshalb nehm ich das mal ernst: was hat der beitrag mit islam zu tun - hier geht es um den widerstand gegen einen diktator. bei dir sitzt die angst sehr tief - red mal mit Yoda, der wird dir sagen dass das der pfad zur dunklen seite der macht ist.

  • M
    makan

    @ taz Leser:

    Genau, messerscharf erkannt, weil es solche Erscheinungen nämlich nicht z.B. auch in China, Kuba, Russland und Äthiopien gibt. Alter, echt....

  • S
    suswe

    @tazleser:

     

    auf arte letzten Dienstag mal um 20:15 reingeschaut?

     

    Oder geht es gar nicht um eine bessere Welt?

  • TL
    taz Leser

    Nun ja, ohne Islam wäre die Erde ein besserer Ort, stimmt's kleines Kopftuchmädchen?

  • T
    TheNerdyMuslim

    Möge Allah swt Schwester Lamees und ihre Familie beschützen und mit der höchsten Stufe des Paradieses belohnen. Möge Allah swt den Entführern und Folterknechten ihre gerechte Strafe zukommen lassen. Ameen!!!

  • T
    tigerlilly

    wirklich eine mutige frau. beeindruckend! hoffentlich wird sich ihr hoher einsatz lohnen. sie trägt eine schreckliche bürde. gibt es denn gar keine mitstreiterInnen vor ort?