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Kolumne Das TuchIst die Revolution bereits verloren?

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Über das Gefühl, auf dem Tahrirplatz in Kairo zu stehen und nur zuschauen zu können. Warum schreit die Bevölkerung nicht auf?

E s ist Nacht in Kairo. Ich stehe auf dem hell erleuchteten Tahrirplatz. Es ist laut. Überall sind Podeste aufgestellt, auf denen Frauen und Männer Reden halten, wild gestikulieren - das Publikum hört aufmerksam zu, ruft rein oder beklatscht die Redner. Überhaupt stehen überall Menschen herum, die diskutieren, sich fotografieren lassen, ägyptische Fahnen kaufen. Zwischendurch umkreist eine Protestgruppe den Platz und ein Meer von Handykameras wird gezückt.

Dann entdecke ich die Bilder der Opfer des Mubarak-Regimes, sie bilden eine lange Straße auf dem Boden des Tahrirplatzes. Menschentrauben umringen die Bilderstraße und gehen sie der Reihe nach durch.

Inmitten des bunten Getümmels stehen große weiße Zelte, mit denen Aktivisten und Demonstranten, vor allem aber Angehörige von Opfern, seit Wochen den Platz besetzen und Gerechtigkeit für die Opfer fordern. In einem der Zelte treffen wir auf Mahmoud, einen pensionierten Physiker mit weißem Rauschebart und langem traditionellen Gewand. "Ich weiß, ich sehe aus wie ein Salafi", sagt er auf Englisch und lacht. "Bin ich aber nicht." Routiniert fängt Mahmoud gleich an zu erzählen, warum sie den Platz besetzen.

"Die Revolution ist fast verloren", sagt Mahmoud. Die drei großen Strömungen - Salafiten, Muslimbrüder und Säkulare - hätten die Revolution an sich gerissen, um Politik für die eigene Sache zu machen. Keine aber vertrete tatsächlich das Volk. "Und wem gehörst du an?", will ich wissen. Er guckt mich erstaunt an: "Ich bin Mahmoud, einfach nur Mahmoud." Die Besetzer seien keine Parteivertreter, sondern einzelne Aktivisten und Angehörige der Opfer, erklärt er.

"Wir alle werden diesen Platz nicht verlassen, bevor unsere Forderungen nicht erfüllt werden." Mubarak und seine Leute müssten bestraft, Gerichtsverfahren gegen die Polizisten, die folterten und mordeten, eröffnet und das Innenministerium und die Polizei neu besetzt werden, erklärt Mahmoud. Wir reden noch lange weiter, bevor ich mich bedanke und durch die kleine Zeltstadt mit ihren bunt bemalten Zeltwänden und provisorischen Unterkünften wandere.

Bild: privat
KÜBRA GÜMÜSAY

22, lebt in Hamburg und studiert dort Politikwissenschaft. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".

Einige Tage später wird der Tahrirplatz von der Armee plötzlich gewaltsam geräumt. Nichts steht jetzt noch dort. Ich telefoniere mit meiner Freundin Mai, die wie viele andere Ägypter mit der Revolution zur Aktivistin wurde. Hundert Personen wurden festgenommen, unter anderem eine gemeinsame Freundin von uns, die BBC-Journalistin Shaimaa Khalil, die mittlerweile wieder entlassen wurde. Ich verstehe nicht. Warum schreit die Bevölkerung nicht auf?

"Die Besetzer hatten schon lange den Rückhalt in der Normalbevölkerung verloren", erklärt Mai mir. Durch öffentliche Spenden an Angehörige der Opfer stellte die Armee die Bevölkerung zufrieden - die Besetzer wurden hingegen immer unbeliebter. "Die Besetzer haben ihre Forderungen nicht gut genug kommuniziert und viele Fehler gemacht", sagt Mai am Telefon und schließlich verzweifelt: "We're screwed." Und ich kann nichts tun, nur berichten, was ich höre und sehe.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.

8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • H
    hto

    "Die glücklichen Sklaven sind die erbittersten Feinde der Freiheit." (Marie von Ebner-Eschenbach)

     

    Die "Revolution" war schon verloren, bzw. systemrationaler Teil der Konfusion in Überproduktion von Kommunikationsmüll, bevor sie angefangen hatte, denn solange die Globalisierung der "Dienstleistungsgesellschaft" in Tititainment ihre Macht von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" im "gesunden" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs um ... austoben kann, werden alle "Revolutionen" weiterhin nur stumpf-, wahn-, blöd- und schwachsinnige Reformen des Systems von GLEICHERMAßEN unverarbeitet-gepflegter / MANIPULIERBARER Glaubens- und Bewußtseinsschwäche sein, in Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein", anstatt geistig-heilendem Selbst- und Massenbewußtsein.

     

    Erst wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehört, wird PRINZIPIELL alles gerecht, befriedet und wirklich-wahrhaftig demokratisch ORGANISIERT sein - auf der Basis eines unkorrumpierbaren MENSCHENRECHTS auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, mit allen daraus einzig menschenwürdig resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten.

  • GN
    glaubt nix

    Eine Revolution, bei der die 95 % FGM in Ägypten kein Thema sind, hat die Welt noch nicht gesehen.

     

    Was ist an dieser Komplizenschaft mit den übelsten Formen von Traditionalismus "revolutionär" ?

  • DM
    Dr Manhattan

    @Guel: "Hmmmm Freiheit??Das erinnert mich an die Spinner von PI."

     

    Danke für den Hinweis, das Freiheit ein rechtsextremer Begriff ist. Jetzt verstehe ich auch was Kampf gegen Rechts bedeutet.

  • G
    Guel

    @von baum

     

    Hmmmm Freiheit??Das erinnert mich an die Spinner von PI. Hast du dich etwa hier verlaufen???

  • H
    Harald

    Das mit dem Staats-Islam ist eben wie früher mit dem Staats-Sozialismus. Alles ganz großartig, nur leider in der Wirklichkeit nicht.

     

    Was ist von Ideologien zu erwarten, die Frauen unter Kopfschleier zwingen:

     

    kulturelle Freiheit? individuelle Selbstbestimmung? plurale Demokratie?

     

    Gibt es ein einziges Islamisches Land, wo diese Bürgerrechte, für alle dort lebenden Menschen, gelten?

  • O
    Ozguro

    Oh, von Baum ist nicht nur Nahost-Experte, sondern auch Prophet und vor allem geschult in ethischer Ausdrucksweise. Danke an Frau Gümüsay, die anders als von Baum, als nicht Nahost-Expertin und Prophetin dort ist und uns ihre Eindrücke schildert, während vom Baum Ägypten nur durch seinen Monitor sieht.

  • S
    Simon

    Frau GÜMÜSAY's Verharmlosung der Islamischen Konter-Revolution zeigt, dass es ihr nicht um die rechte-auch der Islamischen Frau geht, sondern um den Transport von Islamischen Gedankenguts durch ein "nettes Gesicht".

     

    Oder wann hören wir etwas über Ehrenmorde, Zwangsehe, Beschneidung, Blutrache. Wenn Frau G. islamisch leben möchte, soll sie dies gerne tun, aber nicht für Ihre Religion und die gesellschaftlichen Auswirkungen derere sprechen bzw sie dezidiert verharmlosen. Auch die taz sollte sich überlegen, inwieweit sie hierfür ein Sprachrohr sein möchte.

  • B
    baum

    Wie naiv darf eine Kommentatorin sein? KÜBRA GÜMÜSAY's Verharmlosungs-Geschwurbel über de Islamisierung Ägyptens zeigt einmal mehr, dass sie keine Ahnung hat. Jeder mit Gehirn wußte vo Anfang, dass einzig die Islamisten die Gewinner sein werden, Freiheit und Frauen die Verlierer.