Kolumne Das Schlagloch: Sentimental Man
Wenn es helfen könnte, sollten die GEZ-Eintreiber mit Denzel Washington die Bibel lesen.
Seit Wochen fliegt dieser Zettel auf meinem Schreibtisch herum: "GEZ fertig machen / Geschichte polnische Putzfrau". Und dann ist da noch die Mail von Helke, dass dringend etwas über K-TV, den österreichisch-katholischen Kirchensender geschrieben werden sollte. Mein Fernseher empfängt zwar kein K-TV, aber auf der Website des Senders erfährt man: "Denzel Washington liest täglich die Bibel."
Gegen so eine Meldung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, wie aber soll man es verstehen, wenn unter der Rubrik "catholic dating" kostenlos Frauen angeboten werden bei schnelle-bekanntschaft.com? Zu meiner Zeit hat man unter Katholizismus etwas völlig anderes verstanden.
K steht aber gar nicht für Katholizismus oder Kirche, sondern so geheimnisvoll, wie es sich für eine verschworene Glaubensgemeinschaft gehört, die noch was vorhat, steht das K für Kephas. Und Kephas, so nannte Paulus den Mann, auf den Jesus seine Kirche bauen wollte. Petrus, der lateinische Fels, der auf Griechisch Kephas heißt.
Aber wer ebenfalls kein Kephas-TV in seinem Fernseher findet, muss gar nicht traurig sein. Sonntagmorgens sind neuerdings auf sehr vielen Fernsehkanälen jede Menge Prediger zu sehen und zu hören, und der Wikipedia-Eintrag über Petrus ist so lang, dass wir es vielleicht tatsächlich mit einer großen neuen christlichen Missionierungsoffensive zu tun haben, wie jetzt hier und da öfter gern vermutet wird.
Aber was wäre schlimm daran, wenn Kinder und Jugendliche wüssten, wer Hagar war, warum Lots Frau zur Salzsäule erstarrte, wie die Jünger von Jesus hießen und dass die gegenwärtigen Kämpfe im Irak auf einem Land stattfinden, das seit Jahrtausenden von Blut durchtränkt ist?
Um all das zu lernen, gehen sie offenbar in kleinbürgerlichen Stadtteilen wie Prenzlauer Berg vermehrt sonntags in die Kirche. Das sollte uns eher rühren als ängstigen. Es ist doch schön, wenn sich Eltern Gedanken über die kulturelle Entwicklung ihrer Kinder machen. Montags Ballett, dienstags Yoga, mittwochs Klavierunterricht, donnerstags thailändischer Kochkurs, freitags werden die neuen chinesischen Vokabeln der Woche abgehört, samstags geht das Kind mit auf den Ökomarkt und sonntags eben ab in die Kirche. Da kommt keiner auf dumme Gedanken. Wenn ich daran denke, was wir für gefährliche Spiele auf der Straße veranstaltet haben, wie oft dabei jemand in der Notaufnahme landete
Aber was hat das alles mit der GEZ zu tun? Auf den ersten Blick nichts, weil diese Kinder vermutlich nicht in irgendwelchen schlecht bezahlten Jobs enden werden, in denen sie entweder in Callcentern Menschen zum Kauf eines überflüssigen Produkts überreden sollen oder Auskünfte über Dinge geben müssen, von denen sie nicht die Bohne verstehen. Auch sitzt diese zukünftig neue deutsche Elite aller Voraussicht nach nicht im Büro einer Gebühreneinzugszentrale, wo immer neue Aufspür- und Denunziationsmethoden überlegt werden, wie man auch noch des allerletzten Nichtgebührenzahlers habhaft werden könnte.
Vielleicht sitzen diese gut gebildeten Erwachsenen dort nicht, weil sie mit ihren Fähigkeiten woanders gebraucht werden. Aber vielleicht sitzen sie dort auch deshalb nicht, weil sie zwischen all dem Yoga, Chinesisch und jüdisch-christlichem Kulturwissen gelernt haben, dass man als mental- und herzensgebildeter Mensch nicht das tut, was dieses öffentlich rechtliche Unternehmen macht, um an das Geld eventueller Fernsehgucker zu gelangen.
Neulich klingelte ein Mann an der Wohnungstür von Maria. Maria wohnt unter der Woche in der Wohnung von Magda. Jedes zweite Wochenende fährt sie zu ihrer Familie nach Polen und beglückt die mit den Einkünften ihrer Putzfrauentätigkeiten in Deutschland. Maria ist schüchtern und furchtsam, das erkannte auch der Mann von der GEZ und verlangte gleich nach ihrem Ausweis, als sie sagte, dass es nicht ihre Wohnung, sondern die ihrer Freundin sei. Im Besitz ihres Ausweises sagte der GEZler dann zu Maria, dass sie ihn nur wieder bekommt, wenn sie das Rundfunkgeräte-Anmeldeformulat unterschreibt.
Solche und ähnliche Geschichten kann man in vielen Variationen auf diversen Hass-gegen-die-GEZ-Webseiten lesen, und sie sind vermutlich der Grund, warum hier auch öfter Begriffe wie "Geztapo" oder "Schergen" fallen. Die Frage lautet noch immer: Würden Menschen, die in ihrer Kindheit eine ordentlich abendländisch-christliche Unterweisung genossen hätten, sich GEZ-Methoden ausdenken? Denn nur das kann uns eigentlich in dem ganzen Kampf-der-Kulturen-Gewese interessieren: Gibt es eine Kultur, eine Religion, ein was auch immer, das aus unseren Kindern anständige Menschen macht? Dann her damit und sofort flächendeckend und zwangsverpflichtend eingeführt.
Die christliche Kultur scheint es allerdings nicht zu sein, die aus frommen kleinen Kindern gute Erwachsene werden lässt. Das ist vor allem in Ländern zu beobachten, die als traditionell gläubig gelten. Man braucht nur nach Spanien zu gucken, wo man immer noch Mühe mit der Rehabilitierung von Franco-Gegnern, aber keine Probleme mit der Seligsprechung von ausschließlich francotreuen Katholiken hat, die im Bürgerkrieg von Republikanern ermordet wurden.
Die katholischen Widerständler hingegen, die von Francos Milizen ermordet wurden, bleiben weiter un- und armselig verscharrt. Keine Sorge - auch alle anderen uns bekannten Religionen geben keine Qualitätsgarantie auf die von ihnen geprägten Gläubigen - nur an die wärmeausstrahlende Macht kuscheln sich religionsübergreifend die meisten ihrer Prediger und Vorbeter gern.
Bleibt also nur die Verantwortung des Individuums. Der Mensch kann sich entscheiden, anständig zu handeln. Oftmals braucht er dazu weder Bildung noch Religion, sondern nur ein offenes Herz. In das er ab und an getroffen wird. So wie Rainald Goetz, der vergangenen Freitag mit einem getroffenen Herzen einen zum Liebhaben schönen Eintrag in seinem Vanity-Fair-Blog verfasste. Er schreibt darüber, dass er nicht weiß, warum er nicht schreibt, und wundert sich traurig über einen Schmerz, den er nicht benennt, "was für ein komischer Eisblock aus mir geworden ist inzwischen, hinter eisernem Vorhang starr verschanzt".
Und man möchte ihm zurufen: Aber Rainald, es schmilzt doch schon! Und uns andere auffordern, endlich dieses betonverklotzte Meinungsgesabbel zu beenden, die vorhersehbaren Positionen aufzugeben und Neid und Eitelkeiten fahren zu lassen.
K-TV sollte sich fürsorglich um die vereisten und unverfrorenen GEZ-Eintreiber kümmern und sie davon überzeugen, wie viel schöner ein Leben sein kann, in dem man nicht Menschen überrumpelt, einschüchtert und bedroht, sondern von mir aus täglich gemeinsam mit Denzel Washington die Bibel liest, oder aber gewahr wird, dass man doch gar nicht so viel Lebenszeit hat, um zum Eisblock zu gefrieren, weil das Auftauen ja so lange dauert.
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