Kolumne Das Schlagloch: Konservatismus gesucht
Alle Parteien kranken an einem intellektuellen Vakuum - auch die rechts von der Mitte. Aber Abhilfe ist möglich. Wie wär's mit einem konservativen Kommunitarismus?
I m politischen Spektrum Deutschlands gibt es seit […] Helmut Kohl ein Vakuum auf der Rechten", schreibt Norbert Bolz in einem Beitrag zur "Konservatismusdebatte" der CDU (Tagesspiegel vom 12. 8.). Ein Vakuum im Spektrum? Nun ja, das Turbodenken fordert eben seinen Tribut.
Nach Merkels Sozialdemokratisierung der CDU, meint der Professor für Medienberatung, klaffe am rechten Parlamentsrand eine Marktlücke: für eine Partei, die - ja, wem wohl? - "den Erfolgreichen […] eine neue geistige, nämlich konservative Heimat anbietet". Eine solche Rechtspartei müsse aus dem "Volk", genauer aus der Gruppe der "frustrierten Unionswähler" hervorgehen.
Rechte Starintellektuelle
ist Jahrgang 1945 und lebt in Berlin. Von 1991 bis 1994 war er Chefredakteur der Wochenpost. Als freier Publizist befasst er sich vor allem mit den Auswirkungen der Globalisierung auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Nun, der "Konservatismus" bei diesen Leuten, dargelegt etwa im "Manifest gegen den Linkstrend", zeichnet sich durch Klarheit aus: Ethnozentrismus, Antifeminismus und Rassismus der Intelligenz. "Anspruchsvoller", also durch Unschärfe abgesichert, findet sich derlei schon in Bolz Publizistik: "Eigentum ist der Stachel im Fleisch der Looser" oder: die "wirkliche Wunde sind die biologischen Unterschiede" etc. Doch, so Bolz weiter, zunächst müsse die Tabumacht der "Medienlinken" gebrochen werden. Dabei dächten all die politisch korrekten Professoren und Journalisten ja wie Sarrazin, müssten aber, "um überleben zu können", tagtäglich ihre Überzeugungen verraten. Nur das "Coming-out rechter Starintellektueller" vermöge diese verlogene Hegemonie zu brechen.
Brillantfeuerwerk von gestern, getreu der Maxime: "Wer ,in' sein will, muss ,far out' sein." Schade, denn die "anspruchsvolle" Auseinandersetzung über einen zeitgemäßen Konservatismus könnte das intellektuelle Vakuum aller Parteien füllen.
Drei von vier Deutschen würden Opfer bringen für eine "neue Wirtschaftsordnung", in der nicht materieller Wohlstand, sondern Umwelt und sozialer Ausgleich an erster Stelle stehen. Krankmachende Arbeitsverhältnisse, die Agonie der Städte, die Monetarisierung des Familienlebens, der bürokratische Etatismus im Bildungs-und Sozialwesen, der kommerziell angeheizte Hedonismus, die Zerstörung des Mittelstandes - all das verstärkt nicht nur Ungleichheit (das Thema der Linken), sondern untergräbt auch substanzielle konservative Lebensformen.
Ein Konservatismus, der auf Bewahren und Vorsorge setzt, wäre gegenüber dem Marktradikalismus um einiges kritischer als die wachstumsselige SPD. Von deren linken Kritikern unterschiede ihn nicht der Antikapitalismus, sondern seine aus Traditionalismus und finanzpolitischem Realismus stammende Skepsis gegenüber staatlichen Bürokratien. Keynesianismus bei sinkendem Wachstum führt demgegenüber zu einer Dauersubventionierung von Staatsgläubigern. Stattdessen setze Konservatismus auf die Stärkung der Kommunen, auf Autonomie für Schulen, auf Genossenschaften, Sparkassen und Bürger-Aktien-Gesellschaften, kurz, auf regionale "Neugründungen" der Gesellschaft. Damit wären Konservative gute Nachbarn einer grün-libertären Linken.
Modell Stuttgart
Der Protest gegen "Stuttgart 21", die Aktion "Schule in Freiheit", "partizipative Budgets", der Kampf um Stadtwerke, ein soziales Jahr oder Biogenossenschaften sind weder "rechts" noch "links", sondern zukunftszugewandt und auf gesellschaftliche Kohärenz gerichtet. Die Stärkung eines ebenso "konservativen" wie "progressiven" Kommunitarismus könnte Sicherheitsnetze gegen wirtschaftliche Abstürze schaffen, Infrastrukturnetze für den ökologischen Umbau, soziale Netze für Pflege, Nachbarschaftshilfe und regionales Wirtschaften.
Ein solchermaßen radikaler Konservatismus würde sich allerdings mit fast allen anlegen: den Kapitalgesellschaften und den Gewerkschaftern des öffentlichen Dienstes, den Besitzindividualisten, den Profiteuren des Massenhedonismus. Bei vielen Bürgern hingegen dürfte er auf Zustimmung stoßen - nicht von ungefähr kam bei Anne Will der mittelständische Unternehmer Ernst Prost so gut an. Er klagte eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und einen sparsameren Staat ein. Außerdem trat er mit altbackenen Begriffen wie Respekt, Anstand, Fleiß, Demut für Mindestlohn und Vollbeschäftigung ein, weil "Arbeit mit Einkommen der Schlüssel zur Gesundung unserer Gesellschaft ist".
Das Neue ist ja schon da
Als Partei aber wird sich ein solcher Konservatismus schwerlich organisieren lassen. Bis auf die Linken und die FDP sind alle Parteien gespalten in Kollektivisten und Individualisten, Staats- oder Marktverfechter, Zentralisten und Lokalisten. Aber eine von starken Ideen getragene Vernetzung all der Initiativen, Fonds, Stiftungen, Genossenschaften könnte Druck auf die Politik ausüben, umso mehr als in lokalen und regionalen Initiativen die Erneuerung nicht nur gefordert wird, sondern praktisch geschieht - und das relativ undogmatisch.
Nicht eine neue Partei tut Not, sondern eine stärkere nationale Sichtbarkeit der "tausend Blumen", und eine Diskussion, die über Akademien und Internetforen hinausginge und dadurch parlamentarische Aktionen stimulieren könnte. Eine solche Bündelung braucht in der medialen Demokratie vielleicht wirklich ein paar "Starintellektuelle". Es gab einmal eine Zeit, in der diese darin wetteiferten, soziale Fantasie mit der "Kraft der Zuspitzung" in politikfähige Formen zu bringen und damit das Richtungsdenken zu demontieren - das schönste Beispiel für mich ist immer noch Enzensberger "Plädoyer für den Hauslehrer" von l982. Es ist ein verführend vernünftiger Vorschlag zur Verwandlung von Schulen in flexible Lern- und Erfahrungsgruppen.
Heute ginge es um eine kluge Kampagne für kommunale Finanzautonomie oder die Anwendung des Artikels 14,2 GG mit seiner "unzweideutigen" Verpflichtung. Anfangen könnte das - weil dort die Ideologie und der positionelle Machtkampf politischer Profis eine geringere Rolle spielen - an "Runden Tischen", die, indem sie eine Kommune oder einen Landkreis umkrempeln, eine weiterreichende Bewegung in Gang setzen, die nicht links und nicht rechts, sondern morgen und übermorgen im Panier trüge.
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