Kolumne Das Gericht: Jetzt drehen sie am Käserad
Das Parmesanrad ist der neuste kulinarische Klimbim. Schmecken die Spaghetti so wirklich besser?
Jörn Kabisch (36) meint: Linke Gourmets müssen keine aussterbende Mindheit bleiben
Sollte es doch einmal einen zuverlässigen historischen Abriss über die neuere deutsche Küche geben, dann hätte ich einen Vorschlag für das frühe 21. Jahrhundert: Spaghetti aus dem Parmesanrad, auch unter der banalen Bezeichnung "Spaghetti Parmigiano" bekannt. Das war eindeutig der Hit. Wie groß die Ahs und Ohs, wenn der Kellner einen riesigen, oben offenen Parmesanlaib an den Tisch rollt, darin noch einmal die dampfenden Nudeln wendet und dann serviert. Ich habe das neulich in einem Restaurant im Süddeutschen beobachten können und mich an die frühen 90er-Jahre erinnert. Ganz ähnlich habe ich die Entzückensrufe im Ohr, als damals in jedem Restaurant, das nur ein bisschen was auf sich hielt, der Weinbrand gezückt wurde, um Schweinelendchen, Kalbsbacken oder Pfeffersteak am Tisch zu flambieren.
Die Parmesanräder gibt es inzwischen flächendeckend. Nicht nur in mittelmäßigen Italienern namens Caruso oder Don Camillo in Städten wie Erlangen, Saarbrücken oder Recklinghausen, auch in Berlin, Hamburg oder München, worauf sich meine natürlich völlig unrepräsentative Recherche vor allem bezog, sind die Spaghetti zu einem Klassiker des Business Lunch geworden. Warum, ist mir ein völliges Rätsel. Klar, das ist Schau, wenn die Nudeln in dem riesigen Käselaib gedreht und gewendet werden. Das sieht so ehrlich und original aus, da kommt das schöne Gefühl von Überfluss auf, wenn die Pasta in kiloweise Käse versenkt wird, da muss man doch bei einem freigebigen Wirt eingekehrt sein. Und einem bescheidenen dazu, wenn er für die Portion nur acht Euro nimmt.
Ich finde, das sind acht Euro für einen ziemlichen Klimbim. Spaghetti Parmigiano sind, auch wenn sie aus dem Käserad kommen, nichts anderes als ein einfaches Studentengericht, das in den frühen 90ern aufkam und das neben flambierten Schweinelendchen und der obligaten Mousse au Chocolat auf die Karte zu nehmen sich die Wirte damals gar nicht getraut hätten, nämlich Nudeln unter einer dicken Decke aus frisch geriebenem Parmesan. Eine Delikatesse. Denn es waren die Zeiten, als Parmesan - bisher nur als in Tüten verpacktes und Übelkeit auslösendes Käsemehl erhältlich - den Einzug in die Käsetheken fand, stückweise und zum Selbstreiben. Probieren Sie fünfzehn Jahre später mal Parmesan oder Peccorino verschiedenen Alters zu ihren Nudeln, das wird Ihnen die Augen öffnen für die Käseräder.
Eines finde ich bei den Spaghetti Parmigiano aber doch interessant. Wenn es um Kleidung geht oder ein neues Sofatischchen, sind wir gewohnt, bei neuer Mode auf alte Schnitte und Designs zu stoßen. Da wird zitiert, imitiert und neu interpretiert, auf einmal hängen wieder schwarze Karottenhosen an den Ständern, stehen Nierentischchen in den Möbelläden. Beim Essen weniger. Viele glauben, hier gebe es keine Rückschritte beim Fortschritt. Sondern mehr Neues zu entdecken, als Altes neu zu interpretieren. Mit unbekannten Zutaten, längst vergessenen, aber wiederentdeckten Rezepten, mit Hightech in der Küche und zukunftsweisenden Garmethoden. Spaghetti aus dem Käserad sind der Beweis des Gegenteils. Ein 90er-Jahre-Zitat und eine clevere Erfindung der Parmesanindustrie. Denn ich bitte Sie: Keine italienische Mama hat es sich jemals leisten können, ein ganzen Laib Parmesan nur auf die Pasta zu verschwenden.
Aber wer weiß denn schon noch, was wann auf den Tisch kam. Eine kleine, wieder unrepräsentative Nachfrage unter meinen Bekannten hat ergeben: Alle, auch ich, denken zuerst in den historischen Kategorien "v. K." oder "n. K.", wobei K. die Abkürzung für Käseigel ist. Der steht für die kalorienreiche, heute als unkultiviert geltende deutsche Küche der Fünfziger und Sechziger, auch weil noch immer gilt: Mit Essen spielt man nicht. Das aber tat der Igel auf ganz unappetitliche Weise, genauso wie die Ananas im Toast Hawai. Ich aber frage mich, ob so unhistorisch zu denken nicht der Ausdruck fortgesetzten Banausentums ist. Denn gilt das nicht am Ende auch fürs Parmesanrad? Mit Essen spielt man einfach nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!