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Kolumne BlickeDie Bedürfnislosen

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Die Deutschen wollen vor allem eines: billig sein. Hier lässt sich eher der Atomausstieg durchsetzten als Steuergerechtigkeit und ein funktionierendes Gemeinwesen.

Billig heißt günstig, und umsonst heißt vergeblich. Bild: ap

L etzte Woche hat ein Italiener den Euro gerettet. Ganz allein. Die Deutschen, immer etwas behäbiger und aufs Kollektiv genormt, haben erst gestern nachgezogen.

Ob wir den Euro retten sollen, weiß ich nicht. Vor allem weil ich nicht weiß, wer dieses „wir“ ist. Was ich weiß, ist, wer schuld an der Eurokrise ist. An der Eurokrise ist der deutsche Arbeitnehmer und seine Interessenvertretungen schuld. Der deutsche Arbeitnehmer ist ein anspruchsloses Würstchen, sein einziges Anliegen ist es, billiger zu sein als die anderen Europäer.

Das ist ihm gelungen – er ist wirklich billig zu haben. Wie 1933 denkt er nur an Arbeit, Arbeit, Arbeit. Er zahlt in eine Rentenkasse ein, von der er keine Rente bekommt, lässt sich von Charaktermasken wie Riester und Maschmeyer Schrottpapiere andrehen, während die Deutsche Rentenversicherung die Städte mit ihren Glasverwaltungscheußlichkeiten zupflastert – ein dankbarer Untersuchungsgegenstand für jeden engagierten Parlamentarier.

Bild: Alexander Janetzko
Ambros Waibel

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

Der deutsche Arbeitnehmer ist angeblich krankenversichert, zahlt aber im Jahr durchschnittlich 380 Euro aus eigener Tasche. Das läuft zum Beispiel so, wie ich kürzlich selbst testen durfte: Man geht in die Notaufnahme eines Krankenhauses und zahlt 10 Euro, bevor auch nur jemand „Guten Tag“ gesagt hat. Vom Krankenhausarzt wird man nach vier Stunden Wartezeit – Lob der Privatisierung – ermahnt, in den nächsten Tagen unbedingt noch zum Hausarzt zu gehen. Und der nimmt dann noch mal 10 Euro.

Der Sozialstaat beruht auf Erben

Brillen sind schon lange keine Kassenleistung mehr, beim Autofahren – ach ja, ein Auto – muss man aber selbstverständlich eine tragen, Massagen sind Luxus, schöne Zähne sowieso Privatsache. Der ganze sogenannte Sozialstaat Deutschland beruht nur noch auf einem: auf dem Erbe. Mit dem werden die Privathaushaltslöcher vom Musikunterricht für die Kinder bis zum Auslandsurlaub und den Geburtstagsgeschenken gestopft, wird noch eben schnell auf dem Immobilienmarkt mitgezockt, wird darauf spekuliert, dass auch die Kleinen der nächsten Generation noch ein Leben führen können, das früher bürgerlich hieß.

Gespräche mit Leuten, die noch zu den Armen „nach Hause“ gehen, mit Sozialarbeitern und Hebammen etwa, zeigen, dass dort geschälte Kartoffeln in der Dose als Gemüse durchgehen, was der ultimative Beweis ist, dass die Kluft zwischen den Prolls und den anderen unüberbrückbar geworden ist – Glückwunsch zum größten Niedriglohnsektor Europas.

Dass sich an diesen Zuständen irgendwas ändert, ist ausgeschlossen, worauf nicht zuletzt Hans Magnus Enzensberges Beitrag in der Oberschichtkampfschrift „Hauptstadtbrief“ verweist, der kürzlich der FAZ beilag: Enzensberger wusste schon immer, woher der Wind weht.

In Deutschland lässt sich eher ein in seiner Dringlichkeit diskussionswürdiges Unternehmen wie der Atomausstieg durchsetzten als Steuergerechtigkeit und ein funktionierendes Gemeinwesen. Über Enzensbergers Artikel hätte stehen sollen: „Get rich or die trying.“ Der Rest ist egal – vor allem sich selbst.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

21 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    @Helga

     

    Ihre Wut in allen Ehren, aber haben Sie auch sachliche Argumente?

    Wenn man den Boten köpft, wird die Nachricht davon nicht besser!

  • H
    hto

    Ein Zusammen-Leben OHNE Steuern zahlen, OHNE "Sozial"-Versicherungen, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", usw., also OHNE die Macht von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei", ist absolut machbar. Aber wenn Mensch mit Verstand von wirklich-wahrhaftiger Vernunft darüber deutlich und menschenwürdig verändernd kommunizieren will, dann sagt die systemrationale "Vernunft" der gutbürgerlich-gebildeten Suppenkaspermentalität der Konsum- und Profitautisten wie allergisch-programmiert: NEIN, NEIN, NEIN, das kann nicht funktionieren, weil das schon immer so war und überhaupt ...!?

  • P
    Panther

    Ambros Waibel, den Namen wird man sich merken müssen. Ich habe den ganzen Artikel komplett gelesen, und ich kann mit Fug und Recht sagen: Den Namen des Autors merke ich mir - wenn ich nochmal einen Artikel vom den Autoren sehe, werde ich schnell weiterblättern und in keinem Fall den Artikel lesen, denn der Autor schreibt unbeholfen, langweilig und völlig überzogen - und für eine Satire ist der Artikel nicht witzig genug. Also: den Namen "Ambros Waibel" merken, und wenn man einen Artikel vom ihm sieht, dann schnell weg, denn da erwartet einen schlechter "Journalismus"!

  • C
    Charaktermaskenball

    Vielen Dank für die deutliche Stellungnahme!

     

    Und machen wir uns nichts vor: "die Bedürfnislosen" wollen ihren Distinktionsgewinn genießen, (ein pieksendes schlechtes Gewissen macht da nur sauer auf die "Bedürftigen"). Die können noch so links (gewesen) sein, wer noch die Kurve kriegt und Karriere macht. macht nach unten dicht. Spätestens dann.

  • M
    Markus

    Uns gehts schon ziemlich gut in Deutschland, noch. Ich schäme mich nicht Deutscher zu sein, weil wir nicht die einzigen Trottel sind. In Great Britain gibt es auch einen riesigen Niedriglohnsektor und einen Haufen tief versxchuldete Studenten. Unser Vorteil ist aber, dass wir noch genug Industriearbeitsplätze haben, sodass es unserer Volkswirtschaft insgesamt nichtg schlecht geht.

    Über Massagen als Luxusproblem zu schreiben ist ein echtes Luxusproblem.

    Das es aber echte Verlierer in unserer Gesellschaft gibt ist unbestreitbar (Kartoffeln in der Dose) und wirklich traurig. Unser Problem aber ist, dass wir alle von der globalen Wirtschaft profitieren und den niedrigen Preisen in anderen Ländern. Nachhaltigkeit spielt keine Rolle, hauptsache das Smartphone kostet nur 400€.

    Ich finde auch Menschen furchtbar, die ihr eigenes Gewissen damit reinwaschen anderen vorzuwerfen nur darüber zu reden. Was anderes macht ihr auch nicht! Drüber reden hilft. Aufklären, anstossen, informieren. was jeder draus macht ist seine Sache.

  • H
    Helga

    "Massagen sind Luxus, schöne Zähne sowieso Privatsache" - ist das eine Feststellung des Autors, so ist sie richtig. Aber mir scheint da so ein anklagender Unterton mitzuschwingen, als ob der Autor ernsthaft will, dass die Allgemeinheit für seine Massagen bezahlen soll - funktionierendes Gemeinwesen scheint für den Autor vor allem zu heißen, dass er sich massieren lässt und andere für ihn schuften sollen. Bei aller Liebe, Ambros, zum Glück siehst Du so langweilig aus, dass das keiner tun wird. Mein Tipp: einfach mal in den Puff gehen, da dürfen selbst Zyniker wie Du mal was rauslassen. Das musst Du aber selber zahlen!

  • H
    Hurra

    Ein völlig unsachlicher, an den Haaren herbeigezogener Esoterik-Artikel. Schade, denn der Ansatz ist okay. Leider ist gute der knuffige Ambros ein aus der Zeit gefallener Luxus-Linker (was angedsichts seines peinlich niedrigen Gehaltes bei der taz verwundert) und darüber hinaus ein sehr schlechter Journalist mit einem trantütigen Schreibstil (was sein peinlich niedriges Gehalt erklärt - es gibt dann noch meistens einen Grund für Niedriglöhne, und dieser Grund ist nur sehr selten die Ausbeutung).

     

    Ein absonderlicher, langweiliger Artikel.

  • RB
    Rainer B.

    Ich muss Herrn Waibel leider völlig zustimmen, auch wenn es mir gewiss nicht leicht fällt.

  • HW
    Hans Wurst

    Vom Ansatz her ein interessanter Artikel, aber völlig überzogen und unsachlich:

     

    - Wieviel von den 380 Euro gehen denn durchschnittlich für Homöopathie und anderes wirkungsloses Zeug drauf? Ist da das Geld für die Designerbrille schon drin? Soll das der Allgemeinheit aufgebürdet werden? Bei Fielmann gibt es übrigens für 10 Euro im Jahr alle zwei Jahre eine neue Brille.

    - Vier Stunden Wartezeit in der Notaufnahme und trotzdem noch lebendig? Muss ja ein echt dringender Notfall gewesen sein.

    - Massagen sind Luxus! Gibt es irgendein Land der Welt, wo das anders ist?

    - Wo ist der Zusammenhang von Niedriglohn und Dosenkartoffeln? Das eine ist Ausbeutung das andere mangelnde Bildung.

    - funktionierendes Gemeinwesen: Ach ja, die allgegenwärtige Gesetzeslosigkeit und der pure Egoismus, der hier überall herrscht

    - Sozialstaat basiert auf Erben? Da leben wir wohl in unterschiedlichen Welten.

  • M
    Michel

    Wisst ihr was-

     

    wenn die Leute hier alle so furchtbar sind, dann geht doch einfach. Aber das ist natürlich anstrengender, als die Leute zu beschimpfen. Die altlinke, arrogant-blasierte Avangardehaltung eines Herrn Waibel wird die Welt nicht besser machen und Deutschland schon gar nicht.

  • JK
    Juergen K.

    Genau!?

     

    Allerdingsnoch eine Beschönigung.

  • E
    Eulenspiegel

    Den Nagel auf den Kopf getroffen! So ist der Deutsche-, ein Hanswurst, der sich von unfähigen Pappnasen durch die Gosse ziehen lässt.Das stetige verlogene Grinsen dieser Pappnasen zeigt doch schon, was sie vom Souverän Volk halten. Aber solange die noch in den Wahlprognosen ihre satten Prozente kriegen,fühlen sich in ihrer Unfähigkeit noch bestätigt. Aber einst verstehen alle diese Büttel,nämlich wie man sich für die Zugeständnisse an die "Lobbykratie" schmieren lässt. Je mehr man sie schmiert, dess so ärmer wird das Volk-, was ja auch im Interesse der Postdemokratie liegt.

  • C
    Christoph

    Schöner Kommentar. Danke für den Hinweis auf Enzensberger. Dieser Altlinke scheint wie leider viele seiner Genoss_innen senil geworden zu sein. In dem genannten "Oberschichtenkampfblatt" gibt er nur Plattitüden von sich und lässt sich gern billig einkaufen.

  • DK
    detlev klaucke

    Das geht noch solange bis die Hütte brennt

  • A
    Andi

    Schade. Die Hauptthese ist interessant und macht neugierig. Leider ist der Autor (siehe Foto) genauso ein lustloser Arbeitnehmer und outet sich als Pfenigfuchser, der die Welt gar nicht verstehen will. Ab auf die letzte Seite damit, auf der außer Touche ebenso sinnfreie, unlustige Artikel üblich sind.

  • AJ
    Andreas Jansky

    Uns wäre schon geholfen, wenn wir wissen wo der Unterschied zwischen "Billig" und "Preiswert" ist.

  • H
    Hans-Micha

    Yo, auch in Österreich sagt jeder, "Mann, wie kann es Deutschland schlecht gehen, wenn es doch wirtschaftlich so stark ist". Klar, unsere fleißigen Arbeiter verdienen zu wenig; macht ja den ganzen Staat krank, keine Steuern! Es mag sie auch keiner und nur deswegen funktionierts vielleicht.

    Uns in Berlin geht's halt gut. Unser Problem ist vielleicht auch nicht unsere Arbeitsamkeit, sondern sinkende (profane, familiäre) Produktivität in Deutschland (nicht bei uns natürlich). Ändern wir doch mal was, vielleicht ist das ja ein Bedürfnis Bedürfnisloser (leider natürlich erfolglos und total sinnlos aktiv, bösartig durch Chefs in undemokratischen Firmen ausgenutzt und so destruktiv für Europa). Gesellschaft unternehmerisch gestalten, jau!, Chef bezahl mehr!

    Das einzige Bedürfnis was bleibt bei Sokrates' Grundgedanke: Nichts zu bedürfen ist göttlich. Möglichst wenig zu bedürfen, kommt der göttlichen Vollkommenheit am nächsten (Sokrates Das Vermächtnis ;)). Sonst echt ganz bedürfnislos bitte.

  • V
    viccy

    "Aufs Kollektiv genormt" --- kein "funktionierendes Gemeinwesen"

     

    Hmmm ....

     

    Ganz bestimmt ist es überall auf der Welt viel lebenswerter als in Deutschland! Aber echt überall!

  • TB
    Thomas Bode

    Ja, das sage ich auch immer.

    Ändern wird sich hier nichts mehr. Nicht vor dem nächsten Super-Crash.

  • H
    Hanna

    Punktgenau getroffen. Ich schäme mich eine Deutsche zu sein!

  • KK
    Karl K

    Na bitte. Geht doch.

    Waibels Ambros wieder gewohnt locker auf Höhe des Balles.

    Und zack - das Runde ins Eckige.

    Again and again.

     

    Trotz einer auch im Sozialen bahnbrechenden Verfassung - dem Grundgesetz - driftet die BRD längst in ein asoziale Bananenrepublik.

     

    Die Demontage wurde schon bei der Schaffung eingebaut!

    Beispiel: Entwurf zu Art 15 GG - die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien:

    BaldKanzler Adenauer zum Banker Pferdmenges: Du machst den AusschußVorsitz; dat muß demokratisch aussehen; dat müssen wir reinschreiben; dat machen mir hinterher ever nit!

    (Zur Erinnerung: Pferdmenges/Abs=Deutsche Bank, er erließ old Conny - mindestens -  ca 200.000 DM Spekulationsschulden, damals ein Arsch voll Geld).

     

    So geht das.

    Den Rest schafften Verfassungsänderungen fast im Minutentakt, die Ausplünderung der Rentenkassen, das Hartz-IV-Verbrechen, eine überwiegend konservativ-reaktionäre Rechtsprechung und neuerdings die Aufnahme der Anti- Keysianismus-Schuldenbremse ins Grundgesetz.

     

    Schuldenbremse -,vulgo " Goldener Zügel"!

    Wurde weiland im kommunalen Bereich  wg exorbitanter Selbstbedienung und Verschwendungsneigung verpaßt.

    Korrekt.

     

    Aber diese kommunalen Stadtverordnetenversammlungen und drgl. sind trotz permanent gegenteiliger Bekundungen keine Parlamente.

     

    Aber Schuldenbremse auf Bundes- (und EU-) Ebene im Fall von Massenarbeitslosigkeit ( Kategorie 1929:" Ich nehme jede Arbeit an" )

    und weiteres Rentendesaster ( 43%-minus; schlimmer geht immer).

    Dann kann das Parlament - 1929 läßt grüßen - gegen das Heer der Nichtvertretenen mit breiter Brust schleimen: ' tut uns leid - kenseyanisches Handeln -  sorry, aber die Verfassung, versteht uns doch recht! Geht halt nicht!

     

    Genau. So geht das.