Kolumne Blagen: Minderjährige Hedonistin, wutentbrannt

Bisher war die Einssechzigblondine ein unkritischer Konsumbüttel.Das ändert sich gerade.

Ploing! macht die Zimmertür. Es ist ein später Samstagnachmittag, wie ich ihn kenne. Die Einssechzigblondine bewegt ihren jugendlichen Körper aus dem Bett Richtung Badezimmer, sie ist um sieben Uhr früh von ihren altersentsprechenden Vergnügungen heimgekehrt und hat sich bis 17 Uhr einen Schönheitsschlaf-Slot eingerichtet. Nun hat sie ausreichend jugendliche Frische getankt, langsam senkt sich die Sonne gen Abendrot - ihr Samstag kann beginnen, um in eine weitere grandiose Partynacht zu münden.

Doch was ist das? Statt sich wort- und grußlos wie sonst in der Küche der Zubereitung von Toaststullen zuzuwenden, entert sie mein Arbeitszimmer, wo ich still am PC arbeite. "Hey, was soll die Scheiße?" röhrt sie und starrt mich aus kajalverschmierten Augen an. "Was soll was?" antworte ich ruhig, "und guten Tag übrigens." - "Na die Scheiße da in Japan", blökt sie. "Was soll denn das mit dieser bekloppten Atomkraft? Was haben diese Schwachmaten sich denn dabei gedacht, so was da hinzubauen - auf eine erdbebengefährdete Insel und dann auch noch ans Meer, wo es Sturmfluten und diesen Dings, diesen Tsunami gibt? Sind die bekloppt, wie baui ist das denn? Kein Mensch braucht doch Atomstrom!"

Ich schaue mir meine Tochter ganz genau an. So kenne ich sie gar nicht. Sie zählt eher zu jenen Vertreterinnen ihrer Generation, denen Politisches fern ist. Die keine Zeitung lesen, sich Konsumverlockungen unkritisch hingeben, auf Facebook Partybilder posten und die, wo sie gehen und stehen, Discounter-Schnitzel mampfen sowie ständig das Licht anlassen, weil es ihnen komplett wumpe ist, wie hoch die Ökostrom-Rechnung ist, die ihre Eltern bezahlen. Hedonisten, die nachfragen müssen, wie Vegetarismus buchstabiert wird, wo denn bitte der angedrohte Klimawandel bleibt und was, verdammt, so eine Kernschmelze überhaupt ist. Das ist natürlich erlaubt, nicht jeder Heranwachsende in diesem Land muss seine Eltern zu ethischem Verhalten und globalisierungskritischem Diskurs anhalten.

Umso erstaunlicher und erfreulicher dieser atomkritische Wutausbruch. Während sie nun in der Küche Formschinken und Industriekäse auf ihre Weißmehltoasts schichtet, höre ich sie "Scheiße … Blödsinn … Schwachköpfe … abschalten" keifen. Ich denke darüber nach, ob diese Katastrophe in Japan möglicherweise das Leben der Einssechzigblondine verändern wird. So wie bei ihrer Schwester. Die hat vor zehn Jahren einen ähnlichen Wutausbruch bekommen. In Deutschland war die BSE-Krise ausgebrochen, im Fernsehen sah man die immer gleichen Bilder von Greifbaggern, die tote Kühe einzeln von einem riesigen Berg Kadaver fischten und sie ins Feuer warfen.

Die Schwester war fassungslos, bis zu diesem Tag hatte sie bedenkenlos gegessen, was die Kelle gab. Mit der BSE-Krise war das vorbei. Von einer Minute auf die andere wurde sie zur ethischen Vegetarierin und blieb es sieben lange Jahre, in denen wir, also ihre Familie, kaum noch Fleisch aßen. Und was soll ich sagen? Ich fand's gut, ich freute mich über ein Kind, das Fragen stellt.

Auch über das zweite, aus dem nebenan in der Küche gerade hörbar so was wie ein Wutbürger wird. Auch wenn der Anlass, sie sagt es ja, "scheiße und bekloppt" ist. Bald darf sie wählen gehen.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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