piwik no script img

Kolumne BlagenBrandenburg: hundred points!

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Die Einssechzigblondine hat es tatsächlich geschafft, gerade so eine Abipunkte-Punktlandung hinzulegen. Gott sei Dank.

K ürzlich fragte ich an dieser Stelle die geneigte Leserschaft um Rat. Pädagogischen Rat wohlgemerkt. Es war so, dass die Einssechzigblondine meine Freigebigkeit (und Blödheit) dahingehend ausgenutzt hatte, dass ich ihr beim Schrei-Versand drei mögliche Abi-Kleider per Vorkasse gekauft hatte. Sie fand alle „scheiße“, schickte sie aber nicht zurück, sondern berief sich auf ein quasi ewig währendes Rückgaberecht, dessen Frist sie schon noch einhalten würde.

Nichts dergleichen geschah. Statt dessen verlor ich den Nervenkrieg, schickte das Zeug zurück, brüllte zu Hause ein bisschen rum und hatte das Gefühl, ein pädagogisch versagender Vollspaten zu sein, der sich allen Ernstes einen Kleinkrieg mit einer konsumorientierten Jung-Frau lieferte. Was tun?, fragte ich die Leserschaft. Und es ward mir Antwort. Vielen Dank, hoch geschätzte InteressentInnen!

Man kann im Kontakt mit dem Leser leicht unterscheiden zwischen Theoretikern und Praktikern. Praktiker sind jene, die unter selbtsironischem Glucksen auch mal das eigene Scheitern am Kind einräumen und einem schreiben, wie joghurtleicht ihre Beziehung zu ihren inzwischen erwachsenen Töchtern und Söhnen ist. Auch jenen, die ihr ausgeklügeltes Taschengeldsystem offenlegen, samt allen Sonderregelungen und Desastern, gilt mein Dank und Respekt.

Unter Theoretikern finden sich dann jene, die zwar selbst mal Kinder waren (und sich in dieser Lebensphase sicher nicht immer vorbildlich gegenüber Mama benommen haben), heute aber gern ihr Erwachsenensein dadurch anedeln, dass sie andere Mamas scheiße finden und ihnen das auch nicht vorenthalten.

Sehr gern las ich Mails, in denen ich aufgefordert wurde, endlich mal das Gespräch mit meiner Tochter zu suchen – man könne das beschriebene Elend, die zwischenmenschliche Kälte und den Zynismus nicht länger ertragen.

Bild: archiv
ANJA MAIER

ist Parlamentsredakteurin der taz.

Dieser Ratschlag ist nett gemeint, aber sinnlos. Denn alles, was ich bislang geschrieben habe, entspricht der Wahrheit. Der genervte Ton der Einssechzigblondine, die Laptop-Handy-Fernbedienung-Grundhaltung, die verschimmelten Frühstücksbrote und ja, auch die Alkohol- und Drogenexzesse.

Dass wir uns nebenher auch wirklich gut verstehen und dieser Mensch mich beglückt und fasziniert, versteht sich ja wohl von selbst. Aber ich dachte, dies bedürfe keiner besonderen Erwähnung. Zudem hatte ich den Eindruck, dass Texte über harmonische Gulaschessen eher nicht das ihnen zweifellos gebührende Maß an Aufmerksamkeit erlangen.

All jenen, die echte Emotionalität, das familiäre Ying und Yang vermisst haben, teile ich hier also mit, dass die Einssechzigblondine, ihr Vater und ich gerade eine mehrwöchige Phase echter emotionaler Ebbe überstanden haben. Denn die junge Dame hat es tatsächlich geschafft, gerade so eine Abipunkte-Punktlandung hinzulegen. Brandenburg: hundred points! Nicht mehr. Aber Gott sei Dank nicht ein Punkt weniger.

Sonst hätten wir nämlich ein weiteres Gymnasiumsjahr vor uns gehabt. Und das, ich versichere es Ihnen, liebe Leser, wäre nicht so anekdotisch und launig in der Couch-Position verlaufen wie das letzte. Weiß Gott! So aber sind die Einssechzigblondine und ich gemeinsam losgezogen und haben ein Hundred-Points-Kleid gekauft. Ich habe gern bezahlt. Die Praktiker können ermessen, wie gut wir beide uns gefühlt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • R
    Roland

    Huch, ist das hier Kolumne "Das Tuch"? Da ist diejenige Kritik, die am wenigsten in dem Kram passt, immer schlicht "islamfeindlich".

    Hier ist man dann eben "weltfremder Theoretiker", der darüber hinaus auch noch unter dem Zwang steht, anderen Erwachsenen einen mitgeben zu müssen, also nicht nur praxisfern sondern ganz offensichtlich auch noch mit einem nicht ganz unbedenklichen psychischen Knacks behaftet.

     

    Da ist mir im Vergleich Gümüsays "islamfeindlich" plötzlich fast sympathisch; ist wenigstens nicht ganz so verschwurbelt. Und es gibt sehr viel ehrlicher zu, worum es eigentlich geht:

     

    Sich mit der Kritik nicht inhaltlich auseinandersezten zu müssen, weil sich die Diffamierung des Kritikers als Person so sehr anbietet.

    Deswegen ist in beiden Fällen ja interessanterweise nie die Behauptung, die Kritik sei inhaltlich auch nur ansatzweise falsch. Um sie inhaltlich zurückweisen zu können, müsste man sich ja zumindest so lange inhaltlich darauf einlassen, wie das Zurückweisen dauern würde. Das aber wäre bereits unerträglich.

     

    Aus einer älteren Kolumne ist mir erinnerlich, dass "die einsechzigblondine" eine deutlich ältere Schwester hat.

    Wie laufen denn so die Gespräche mit dem längst erwachsenen Kind? Spielt sich da noch viel ab? Und wieso konnte die Autorin sich dann den Rat eigentlich nicht bei sich selbst als erfahrener Praktikerin holen?

  • B
    Bernd

    "Dass wir uns nebenher auch wirklich gut verstehen und dieser Mensch mich beglückt und fasziniert, versteht sich ja wohl von selbst. Aber ich dachte, dies bedürfe keiner besonderen Erwähnung."

     

    Wenn das so ist:

    Kriegen Sie denn dann zur Abwechslung auch mal eine Kolumne ausschließlich darüber hin?

  • B
    Bernd

    "Dass wir uns nebenher auch wirklich gut verstehen und dieser Mensch mich beglückt und fasziniert, versteht sich ja wohl von selbst. Aber ich dachte, dies bedürfe keiner besonderen Erwähnung

     

    Sie erwarten also ernsthaft, dass geneigte und sonstige Leser etwas verstehen, das nicht einmal zwischen den Zeilen steht?

     

    Interessantes Textverständnis.

  • H
    hanswurst

    Ja was sind den dsas hier ales für Kommentare? Schlimm!

    Glückwunsch nach Brandenburg, also hierhin. Der Einssechzigblondine sei mit virtuellem Sekt (gern auch alkoholfrei) gratuliert.

    Nach all den gutbürgerlichen Promotionsbetrügern ist ein ehrliches 100-Punkte-Abi aus Brandenburg ein Stück Lebensfreude. Und auch ein echter Leistungsbeweis. Feiert schön.

  • OM
    Olaf Mertens

    Ja, Matt - in Bayern gilt ja auch der Dativ nicht ;)

  • J
    Jörg

    @Melli Wüsste nicht, dass nur "Linke" und "Grüne", was auch immer das bei Ihnen sein mag, ihre Kinder auf's Gymnasium schicken. Und bei den Alkoholeskapaden sind

    Ali und Erkan voll dabei. Woher ich das weiß? Meine Tochter ging aufs Gymnasium und mein Sohn auf die Hauptschule. Viel Eltern orientieren sich bei der Schulauswahl schon noch danach, ob ihre Kinder damit auch zurecht kommen. Erzwingen führt zu Fehlschlägen.

    Egal welchen Schulabschluss die Kinder anstreben-ohne Engagement der Eltern geht nichts. Da geht die Harmonie oft den Bach runter, wenn man seine Zöglinge zum Lernen antreiben muss.

    BTW: Ich komme aus der Arbeiterschicht.

  • V
    viccy

    @ Matt

    Ja, genau, in Bayern ist alles schwerer, selbst das Kilo Mehl.

  • M
    Matt

    100 Punkte in Brandenburg entsprechen 0 Punkte in Bayern.

  • M
    Melli

    Warum besuchen Kinder von Linken und Grünen eigentlich immer Gymnasien?

     

    Traut man der dem einfachen Volk verordneten Gesamtschule nicht bei den eigenen Kindern? Wo Ali und Erkan der Einssechzigblondine klipp und klar sagen, was sie von ihr und ihren Alkoholeskapaden halten?

     

    Das darf anscheinend nur die Arbeiterschicht ertragen...

  • W
    wauz

    Struktureller Machtmissbrauch - Warum Teenager tun müssen, was sie tun

     

    Selbstredend ist das hundsgemein und auch ein Ausnutzen einer Machtposition, wenn Mama die Möglichkeit hat, ihre fiesen Kommentare bei einer überregionalen Zeitung, dem Internet gar, unterzubringen.

     

    Aber.

     

    Es ist beiderseitig nötig.

     

    Denn: so wie die kleinen Würmchen darauf angewiesen sind, gleich nach ihrer Ankunft alle Aufmerksamkeit und Pflege der Mutter, besser noch beider Eltern und Tanten, Onkels und sonstigen Mitmenschen zu bekommen, sind die nun groß geratenen Würmer darauf angewiesen, Ekel, Abscheu, Widerwillen und Empörung zu erregen. Denn sonst könnte sich Mama (und der ganze Klüngel drum herum) nie entschließen, den Nachwuchs endlich wegzubeißen und damit ins wahre Leben zu schicken.

     

    Es muss also alles genau so sein, wie es ist.