piwik no script img

Kolumne Berlin-VancouverStumpf und aggressiv

Sieg oder Niederlage? Die Athleten fachsimpeln gerne über aggressiven und griffigen Schnee, oder über stumpfes Eis. Auch wir haben Eis. Doch nennen wir es einfach nur Glatteis.

M achen Sie mal! Ein wenig freundlicher hätte er schon sein können, der Mann, der direkt vor mir ausgerutscht und auf den Bürgersteig geklatscht ist. Machen Sie mal! Das sagt man doch nicht, wenn einem einer Hilfe anbietet. Machen Sie mal! So einfach war das nun auch wieder nicht. Schnell habe ich gemerkt, dass es nicht nur allein an der Eisplatte gelegen hatte, dass der Mann sein Gleichgewicht verloren hat. Da war Alkohol im Spiel.

Nachdem ich das fast völlig entmenschlichte Wesen, das mir in den Weg gefallen war, aufgehoben, ihn zu einem Zaun geführt und ihm geraten hatte, sich so lange daran festzuhalten, bis es wieder nüchtern ist, konnte ich endlich weitergehen. Jetzt musste ich über die Eisplatte. Die war rutschig, sicher. Aber nicht besonders. Nur ein bisschen. Auf jeden Fall nicht so, dass ein nüchterner, motorisch normal begabter Mensch darauf ausrutschen würde.

Eis ist nicht gleich Eis. Das weiß jeder, der sich regelmäßig Wintersportübertragungen ansieht. Wenn sich die Sportler schwertun, dann ist oft das Eis schuld. Es war stumpf, sagen die Athleten dann. Während ich über die irgendwie unrutschige Berliner Natureisplatte gehe, spüre ich, was damit gemeint sein könnte. Die Eismeister auf der Rodelbahn von Vancouver waren angehalten, für stumpfes Eis zu sorgen, damit es keinen Rennschlittenfahrer mehr aus der Kurve trägt. Stumpfes Eis macht langsam. Mit schlappen 147 km/h ist unser Loch Felix zu Gold gerodelt. Bevor die Strecke verkürzt worden war und als das Eis noch nicht stumpf gemacht wurde, war er 155 km/h schnell.

Auch der Schnee, auf dem ein Skifahrer nicht so recht ins Gleiten kommt, wird im Wintersportsprech als stumpf bezeichnet. Das kann passieren, wenn es zu warm ist und die Strecke angetaut ist. Stumpf kann der Schnee auch sein, wenn es ganz, ganz kalt ist. Als die deutschen Biathleten zum Sprintrennen in Whistler auf die Strecke gingen, sorgte ein Schneegestöber dafür, dass die Spur stumpf wurde. Immerhin haben Michi Greis und Kollegen des Rennen heil überstanden. Ob das auch so gewesen wäre, wenn der Schnee aggressiv gewesen wäre, weiß man nicht.

Bild: taz

Andreas Rüttenauer ist Sport-Redakteur der taz.

"Aggressiver Schnee verzeiht nichts", hat Maria Riesch, Deutschlands beste Alpine, einmal gesagt. "Als ich mir in Aspen das Kreuzband gerissen habe, war der Schnee brutal aggressiv", erzählt sie bisweilen. Vorsicht also! Vor allem Kunstschnee wird oft als Aggressor auf die Gesundheit bezeichnet. Aber was ist von der Aussage der besten deutschen Snowboarderin zu halten? Amelie Kober hat mal gesagt: "Aggressiver Schnee ist sehr griffig." Griffig? Ist das jetzt gut oder schlecht?

Schlecht war jedenfalls, dass ich an diesem Tag selbst auch noch hingeklatscht bin. Auf eben jener Eisplatte, die ein paar Stunden zuvor noch so stumpf gewesen ist. Das Eis hatte mit einem Mal ganz andere Eigenschaften. Ich hatte keine Chance. Und weil ich keine Zeit hatte, mein Flugsystem aufzubauen und eine elegante Telemark-Landung vorzubereiten, war der Sturz ziemlich schmerzhaft. Flugsystem. Warum geht mir ausgerechnet in diesem Augenblick ein Skisprungberichterstatterfachausdruck durch den Kopf? Ich bin doch ein Wintersportjunkie. Als ich aufstehe, sehe ich, dass der Mann, den ich vor sechs Stunden an den Zaun neben der Eisplatte gestellt habe, sich nicht von der Stelle gerührt hat. Er lächelt. Da sind andere Drogen im Spiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Rüttenauer
Sport, dies und das

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • M
    Mac-Lennox

    Obwohl mich mit dem Wintersport keinerlei Berührungen verbinden, weil ich ein ausgesprochener Flachländer bin, meine ich dennoch meinen Senf hinzugeben zu müssen.

     

    Viele Jahre war ich erfolglos im Schwimmsport aktiv. Und gerade bei Olympia in Peking hörte man neben der ganzen Anzugsdiskussion auch des Öfteren Klagen über einerseits zu schweres, zu leichtes oder über zu ungriffiges Wasser von Seiten deutscher AthletenInnen. Diese Klagen kann ich aus eigener langjähriger Erfahrung nachvollziehen.

     

    Wenn man sich fast tagtäglich im Schwimmbassin tümmelt, merkt man einerseits Temperaturunterschiede von bloß einem halben Grad Celsius, auch wenn es Laien als Lächerlichkeit empfinden mögen. Daneben ist entscheidet, wieviel Chlor zur Desinfizierung eingesetzt werden. Desto mehr Chlor, desto schwerer wird das Wasser, was man durchaus physikalisch erklären kann. Dies sind nur zwei Gründe, die durchaus einen enormen Einfluss auf die AthletenInnen in ihrer Leistungsfähigkeit ausüben.

     

    Daher meine ich zu verstehen, wenn WintersportlerInnen über zu harten, zu tiefen Schnee oder über zu warmes oder zu kaltes Eis klagen. Laien werden darüber jederzeit ihre Nase rümpfen.