Kolumne Barbaren in Beijing: Abgelaufene Freundlichkeit
Die Chinesen begegnen ihren Gästen mit großer Höflichkeit. Abseits der olympischen Routen wird aber kaum gelächelt.
Sie haben schöne Haare! Die junge Frau am Medienhilfstisch im Pressezentrum ist ganz begeistert vom blonden Schopf meines Kollegen. Sie haben ein sehr schönes Ohr! Ein anderer Kollege, mit dem ich in einem Restaurant sitze, weiß nicht recht, ob er sich über das Kompliment des doch recht stark angetrunkenen Mannes vom Nebentisch freuen soll. Von den vier Ohrringen, vermuten wir, ist unser neuer Freund so begeistert. Er spricht ein wenig Englisch. Als er hört, dass wir aus Deutschland kommen, schüttelt er uns begeistert die Hände. Willkommen in Peking, sagt er. Kurz darauf zeigt er auf den Fernseher, der über unserem Tisch hängt. Deutschland, Deutschland, ruft er. Das chinesische Fernsehen zeigt ein Interview mit Hinrich Romeike. Eigentlich kann ich mit reitenden Zahnärzten nicht viel anfangen. Um unserem Freund eine kleine Freude zu bereiten, tue ich dennoch so, als wäre ich stolz auf meinen vielseitigen Doppelolympiasieger und proste Richtung Nachbartisch.
Willkommen in Peking! Oft habe ich das in den letzten Tagen gehört. Ich habe immer freundlich zurückgewunken. Hier bin ich gerne, dachte ich mir, und marschierte immer selbstsicherer durch die fremde Stadt. Ein neuer Tag in Peking beginnt. Ich verlasse unsere schicke Wohnung im sechsten Stock des 16-stöckigen Wohnhauses, in dem wir uns einquartiert haben. Während ich so dahinlaufe, freue ich mich innerlich darüber, wie nett mir doch heute alle Menschen, die mir begegnen, wieder vorkommen. Kurz später ärgere ich mich über mich. Vor lauter innerlicher Freude habe ich mich verlaufen.
Der Weg, auf dem ich dahingehe, wird immer schmaler. Mit einem Mal stehe ich mitten in einer einstöckigen Wohnsiedlung. Das muss ein Hutong sein, denke ich mir. In meinem Reiseführer habe ich von den traditionellen Siedlungen in Peking gelesen. Die chinesischen Altbauviertel werden dort als Sehenswürdigkeit beschrieben. Jetzt stehe ich vor elenden Hütten. Es stinkt aus dem Toilettenhaus, das von der ganzen Siedlung genutzt wird. Schweißnasse, ausgemergelte Körper drücken sich an die wenigen schattigen Wände. Ich starre. Ich werde angestarrt. Keiner freut sich hier über eine dämlich dreinblickende Langnase mit einer Olympiaakkreditierung um den Hals. Nein, hier bin ich nicht willkommen.
Keine halbe Stunde später bin ich wieder im Medienzentrum auf dem Olympiagelände und unterhalte mich über den Fortschritt in China. Wenn jeder von denen ein Auto hat, sagt einer, das geht doch gar nicht. Und überall diese Klimaanlagen, irgendwann müssen die Chinesen auch einmal anfangen, an die Umwelt zu denken. Gleich will ich zum Gerätefinale der Turner. Die Halle ist keine 500 Meter entfernt von hier. Ich werde den Bus nehmen. Bei dieser Hitze treibt einem jeder Schritt den Schweiß beinahe literweise aus den Poren. Peking, das hält doch kein Mensch aus.
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