Kolumne American Pie: Highnoon auf der Tartanbahn fällt aus
Sprinterin Jeneba Tarmoh fühlt sich vom US-Verband um ihren Olympia-Startplatz betrogen. Deshalb verweigert sie ein Ausscheidungsrennen.
A merika, du hast es besser. So wie einst Goethe klagen in der Neuzeit vor allem deutsche Leichtathleten alle vier Jahre wieder im Vorfeld vor den Olympischen Spielen. Neigen doch die Nominierungskriterien hierzulande bisweilen, gelinde gesagt, zur Unübersichtlichkeit.
In den USA dagegen: Wer bei den sogenannten Trials unter den ersten drei landet, der darf nach London. Alles ganz einfach also, fair und vor allem trennscharf. Oder eben nicht. „Tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich mir den Platz verdient habe“, sagt Jeneba Tarmoh. „Ich habe das Gefühl, ich bin beraubt worden.“
Die 22-jährige Sprinterin steht im Mittelpunkt eines bizarren Skandals, der die Olympia-Ausscheidungen in Eugene, Oregon, überschattete. Im 100-m-Endlauf gleich am ersten Wochenende der Trials traf Tarmoh hinter Carmelita Jeter und Tianna Madison auf dem dritten, für Olympia berechtigenden Platz ein. Das teilte jedenfalls die Anzeigetafel im Stadion mit.
Tarmoh lief eine Jubelrunde, bekam eine Medaille, absolvierte die Pressekonferenz und erfuhr dann, während sie auf ihren Dopingtest wartete, dass die zuerst viertplatzierte Allyson Felix zeitgleich gewesen war. Auch eine ausführliche Auswertung des Zielfotos konnte nicht ermitteln, wer nun genau die Nase vorn gehabt hatte. Ein totes Rennen.
Promibonus für Felix
Nun ist Felix keine Unbekannte. Die 26-Jährige ist zwar 200-Meter-Spezialistin und besitzt über die halbe Distanz nicht wirklich Medaillenchancen in London, aber sie ist eben dreimalige Weltmeisterin, zweimalige Olympia-Zweite und eines der Aushängeschilder der gebeutelten US-Leichtathletik.
Vor allem hat Felix sehr viel mehr Reputation und Rückhalt als die jüngere Tarmoh. Obwohl beide aus derselben Trainingsgruppe stammen, ging Felix in die Offensive und ließ Interviews mit allen großen Medien arrangieren, in denen sie für ein Ausscheidungsrennen warb. Währenddessen schwieg nicht nur die schüchterne Tarmoh, sondern auch der Leichtathletik-Verband Ustaf nahezu eine Woche lang.
Kein Wunder, dass da leicht Verschwörungstheorien entstehen konnten. In denen intrigierten die Sponsoren, allen voran Nike, das seinen Hauptsitz in Eugene hat und die stets dort stattfindenden Trials hauptsächlich finanziert, hinter den Kulissen zugunsten von Mediadarling Felix.
ist Autor der taz.
Als sich die Ustaf schließlich zu einer Entscheidung durchrang, war es – wenig überraschend – das Ausscheidungsrennen. Denn schließlich hatte die Geschichte mittlerweile ein solches Medieninteresse erzeugt, dass der in den USA seit Jahren verzweifelt um Aufmerksamkeit ringende Sport sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte.
„Reality-TV in seiner großartigsten Form“
Am Montag nach den Trials, also vorgestern, sollten Tarmoh und Felix noch einmal gegeneinander laufen. Zwei Frauen allein auf der Bahn, der große Showdown, eins gegen eins, Highnoon auf Tartan: ein Marketingtraum. Der Fernsehsender NBC änderte seine Sendepläne, und Exsprinter Jon Drummond, Staffel-Olympiasieger und mittlerweile in der Aktivenvertretung von Ustaf, hoffte auf den ganz großen Coup: „Wir werden eine Dramatisierung unseres Sports erleben, Reality-TV in seiner großartigsten Form.“
Nur machte eine der Hauptdarstellerinnen den Funktionären einen Strich durch die Rechnung. Tarmoh verzichtete auf das Rennen und damit auch auf ihren Olympia-Startplatz. Außer einem dürren, offiziellen Statement gab sie keine Erklärung ab. Sie darf nun zwar mit nach London reisen und könnte dort in der Staffel eingesetzt werden, aber sicher ist das nicht.
Doch es gibt noch einen größeren Verlierer als die junge Sprinterin. Statt eines atemberaubenden Showdowns, statt Werbung für die Leichtathletik bleibt nun bloß ein Eindruck: Die Ustaf, die den Fall zur Hängepartie werden ließ, ist ein vollkommen unfähiger Verband.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften