■ Kolibakterien: Aachen nach sechs Wochen Alarm: Wildschweine oder Talsperrenschiß?
Aachen (taz) – Wasser? Kommt halt aus dem Wasserhahn. So simpel und fahrlässig oberflächlich dachten auch die meisten AachenerInnen – bis Anfang Oktober. Jetzt wissen sie, daß das wichtigste Lebensmittel von allen voller Heimtücke steckt.
Vor gut sechs Wochen gab es Alarm. Verunreinigungen im Trinkwasser waren entdeckt worden, Kolibakterien vor allem. Warnungen im Radio, die Zeitungen voll mit Hinweisen, Spekulationen, Mahnungen: Das Wasser sei unbedingt abzukochen. Bald schon mischten die Wasserwerke derart viel desinfizierendes Chlor ins Trinkwasser, daß jedes Duschen geruchlich dem Besuch im Hallenbad gleichkam. Kaffee und Tee wurde ungenießbar. So verging Woche um Woche. Aachen und Umland stanken.
Man suchte nach Gründen. Und fand neue Verunreinigungen. Neuer Alarm. Neue Chlorhöchstwerte. Die „Tagesthemen“ berichteten. Dann wurde aus dem Koli- Alarm ein Koli-Chaos. Am 27. Oktober morgens wurde Entwarnung gegeben, dazu der Hinweis, in der Stadt Aachen seien sowieso nie Bakterien entdeckt worden, nur in Randbezirken, die anders beliefert werden. Alles, sagen die Behörden, sei eigentlich ziemlich überflüssig gewesen. Und doch richtig, sagen die Wasserwerke, aus Vorsichts- (und Haftungs-)Gründen. Am Abend gab es neuen Alarm. Der später wieder zurückgenommen wurde. Chlor ist bis heute im Wasser, weil das Wasserwerk alle 700 Rohrkilometer bis in den letzten Zipfel ausspülen will.
Kreiswasserwerk, Kreisgesundheitsamt, Untere und Obere Wasserbehörde, Klärwerke, Chemisches Untersuchungsamt, Gesundheitsämter, Gesundheitsdezernenten, Amtsärzte, Versorgungswerke, Landesministerien, der Regierungspräsident und seine diversen Abteilungen – jeder hatte etwas zu sagen und zu spekulieren. Heraus kamen viele Theorien. Schuld tragen, hieß es zunächst, die Bauern der Eifel, dort, wo aus diversen Talsperren das meiste Trinkwasser der Region gewonnen wird. Die Landwirte haben Anfang Oktober ungewöhnlich viel Gülle abgelassen, genau zu dem Zeitpunkt, als heftige Regenfälle den Vieh-Schiß und -piß gleich in die Talsperren spülen konnten. Die sonst übliche Ausnahmeregelung, Gülle auch noch im November auszubringen, war vom Regierungspräsidenten erstmals verboten worden. Halt, sagt der darum vermeintlich mitschuldige Regierungspräsident Franz- Josef Antwerpes plötzlich, nach seinen Erkenntnissen seien Leitungen in Neubauten vertauscht worden, somit in Trinkwasserrohre Toilettenabwässer gelangt. 18mal hatten ausgeschwärmte RP-Detektive Klopapierreste in Eifelaner Trinkwasserleitungen entdeckt und zum Beweis erklärt.
Alle anderen Deutungen waren für „Drainagen-Jupp“ fortan „blühender Unsinn“. Auch daß seine Behörde es seit über dreißig Jahren versäumt habe, rund um die Talsperren Wasserschutzgebiete auszuweisen. Gleichzeitig gingen bei den Wasserwerken erste Regreßforderungen verärgerter Bürger ein: wegen gelieferter minderwertiger Wasserware und Zusatzkosten für Flaschenwasser und Abkochen.
Eine schlüssige Erklärung gibt es bis heute nicht. Zuletzt wurden gar die Wildschweine verdächtigt, die sich so gern in Wassernähe der Talsperren aufhalten. Allerdings benutzen die kein Toilettenpapier.
Niemand würde sich wundern, wenn herauskäme, daß sich irgendwer, vielleicht betrunken oder wegen einer Wette, auf eine Staumauer gehockt und seine Stoffwechselprodukte in die Tiefe platschen ließ. Nur eines ist klarer als das Wasser selbst: Das Naß ist wirklich kostbar und steckt voller Überraschungen. Bernd Müllender
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