■ Kohl und Kinkel sind gefordert, zu ihrem Wort zu stehen: Im Namen der EG
„Es könnte der Eindruck entstehen, die Bundesrepublik steht nicht mehr zum Wort des Bundeskanzlers, es dürfe keine Bosnien-Einigung zu Lasten der Muslime geben“ – so schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Schwarz vor zweieinhalb Wochen in einer Presseerklärung, mit der er seinen Parteifreund Kohl und Außenminister Kinkel aufforderte, sich der „Initiative“ zur Ablösung von EG-Vermittler David Owen „anzuschließen“. Denn Owen, so Schwarz, verstoße bei den Genfer Bosnien-Verhandlungen „im Namen der EG nahezu täglich gegen alle Beschlüsse der EG, ihrer Londoner Konferenz, der UNO und sonstiger internationaler Gremien.“ Daß dies mindestes seit Anfang Juni eindeutig und nachweisbar der Fall ist, wissen der Kanzler und sein Außenminister auch aus den Berichten ihrer Genfer Diplomaten. Dennoch verhallte die Aufforderung des CDU-Abgeordneten an Kohl und Kinkel ohne Wirkung. Statt dessen stellte sich das Bonner Außenamt voll hinter die Bemühungen von Owen und UNO- Vermittler Stoltenberg.
Der von Schwarz befürchtete Eindruck ist längst entstanden; in der breiten Öffentlichkeit Deutschlands und Bosniens wie auch bei dessen Präsidenten Izetbegović. In den letzten vier Genfer Verhandlungswochen machten Izetbegović und die Mitglieder seiner Delegation keinen Hehl aus ihrer tiefen Enttäuschung darüber, wie sich Kohl und Kinkel „hinter EG- Vermittler Owen verstecken“. Der deutsche Kanzler sei die „ehrenhafte Ausnahme“ unter den „zaudernden“ Regierungschefs der westlichen Welt – mit dieser Schmeichelei hoffte der bosnische Präsident Anfang August lediglich, Kohl vielleicht doch noch zum Handeln bewegen zu können. Hierfür ist es immer noch nicht zu spät. Der entstandene Eindruck, daß Kohl und Kinkel eine Bosnien-Einigung zu Lasten der Muslime befürworten, läßt sich noch korrigieren. Die für diese Woche geplante Unterrichtung der zwölf EG-Außenminister durch Owen böte Kinkel Gelegenheit für einen deutlichen Einspruch.
Die Bundesregierung kann ihr Schweigen nun nicht mehr damit begründen, die laufenden Bemühungen der beiden Vermittler um eine Einigung nicht stören zu wollen. Denn diese Bemühungen sind abgeschlossen – und gescheitert. Sollte das bosnische Parlament diese Woche – wider Erwarten – das von Owen und UNO-Vermittler Stoltenberg auf den Tisch gelegte Abkommen gutheißen, wäre dies eine brutal erzwungene Zustimmung: unter dem Druck des Krieges, der andauernden Belagerung Sarajevos und des bevorstehenden Winters. Und niemand wird ernsthaft bestreiten können, daß der Owen/Stoltenberg-Plan, insbesonders die darin enthaltende Grenzziehung zwischen den drei ethnischen Teilrepubliken weitgehend den Forderungen der Serben und Kroaten entspricht und eindeutig zu Lasten der Muslime geht. Es genügt ein Vergleich der Owen-Stoltenberg- Karte mit jener, die Serbenführer Karadžić und Kroatenchef Boban während der jüngsten Genfer Verhandlungsrunde mit ultimativem Gestus auf den Tisch gelegt haben, sowie mit dem von Präsident Izetbegović eingebrachten Vorschlag für eine „überlebensfähige“ bosnisch-muslimische Teilrepublik. Und da die Grundvoraussetzungen für eine überlebensfähige bosnisch-muslimische Teilrepublik nicht gegeben sind, sind auch alle in Genf noch so perfekt formulierten Bestimmungen dieses Abkommens über Menschenrechte, Minderheitenschutz, Rückkehrrechte von Vertriebenen etc. ohne große Bedeutung für die Realität vor Ort. Andreas Zumach, Genf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen