Kohl und Jelzin vertagen Nato-Erweiterung

■ Bei seinem Moskau-Besuch würdigt der Kanzler Boris Jelzin als Reformpolitiker

Moskau (AFP/rtr/AP) – Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Rußlands Präsident Boris Jelzin haben gestern in Moskau in der strittigen Frage der Nato-Osterweiterung keine Annäherung erreicht. Kohl sagte nach einem Gespräch mit Jelzin, die Aufnahme osteuropäischer Länder in das Bündnis sei ein Thema, das sich nicht für das Wahljahr in Rußland und in den USA eigne. Diese Frage müsse zu einem späteren Zeitpunkt besprochen werden. Der Kanzler zeigte sich „ganz sicher“, daß dann eine Lösung gefunden werden könne. Diese müsse sowohl die Sicherheitsinteressen Rußlands berücksichtigen, als auch das Recht der Staaten Osteuropas, aus eigenem Willen dem Bündnis beizutreten.

Gleichzeitig begrüßte Kohl, daß Jelzin seine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt mit der Fortsetzung des Reformkurses verknüpft habe. Der Kanzler erinnerte an die Aufnahme Rußlands in den Europarat, in der sich der Wunsch nach einem demokratischen und rechtsstaatlichen Rußland ausdrücke. Zudem würdigte er Jelzins Zusicherung, daß er den Krieg in Tschetschenien noch vor der Wahl friedlich beenden wolle. Kohl ist der erste ausländische Regierungschef, mit dem Jelzin zusammentraf, seit er seine erneute Kandidatur für das höchste Staatsamt bekanntgegeben hatte. Treffen mit anderen Kandidaten stehen nicht auf dem Programm.

In einigen russischen Zeitungen wurde der Besuch des Kanzlers als Unterstützung für Jelzins Kandidatur bei der Präsidentenwahl gewertet. Bereits vor dem Abflug Kohls hatten die Grünen kritisiert, daß sich der Kanzler auf ein Treffen mit Jelzin und der russischen Regierung beschränke. Der Präsident könne nicht mehr als Repräsentant einer Politik von Rechtsstaalichkeit und innerem Frieden angesehen werden. Diese Kritik wurde von Jelzin und Kohl gestern noch einmal mit Nachdruck zurückgewiesen. Beide betonten, daß der Besuch aus Deutschland keine Wahlkampfhilfe darstelle.

Nach seinem Gespräch mit Jelzin kam Kohl gestern auch mit Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin zusammen, anschließend wollte er mit dem neuen Außenminister Jewgeni Primakow sprechen. Heute sind Gespräche mit den Vorsitzenden von Staatsduma und Föderationsrat geplant. Morgen will Kohl den Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak, treffen.