Kohl entläßt seinen Verteidigungsminister: Stoltenbergs finales Kehrt-Marsch
■ Das Aus war nur noch eine Frage der Zeit. Stoltenbergs unaufhaltsamer Abstieg, der schon in seiner Zeit als Finanzminister mit der U-Boot- und Barschel-...
Stoltenbergs finales Kehrt-Marsch Das Aus war nur noch eine Frage der Zeit. Stoltenbergs unaufhalt- samer Abstieg, der schon in seiner Zeit als Finanzminister mit der U-Boot- und Barschel-Affäre begann, endete jetzt mit den nicht genehmigten Panzerlieferungen an die kurdenbekämpfende Türkei.
Schon nach wenigen Minuten Pressekonferenz gab es erste Kratzer auf der mühsam errichteten Fassade der Harmonie zwischen Helmut Kohl und seinem „langjährigen Freund Gerhard“ Stoltenberg. Mehrfach fragten die Journalisten im überfüllten Saal der Bonner Bundespressekonferenz, wann der bisherige Verteidigungsminiser seinen Rücktrittsbeschluß denn gefaßt habe. Ob vor oder nach den „langen und freundschaftlichen Gesprächen“, die er seit Montag nachmittag mit Kohl und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble geführt hatte sowie „mit politischen Freunden, deren Rat mir wichtig ist“. Mit starrem Blick wiederholte Stoltenberg immer wieder nur: „Es war meine Entscheidung.“ Schließlich fiel ihm Freund Helmut ungeduldig ins Wort: „Gerhard, die Frage war, wann? Es war zwischen Mitternacht und jetzt.“
Spätestens da war allen Anwesenden klar, was sie von den Beteuerungen Kohls zu halten hatten, der „honorige“ Rücktritt des „Mitgestalters von 30 Jahren Bundesrepublik“ sei dessen „ganz persönliche Entscheidung gewesen“, er selber „und Schäuble hätten auch jede andere Entscheidung unterstützt“. Es war der Kanzler, der, die jüngste Hardthöhen-Affäre zum Anlaß nehmend, seinen „langjährigen politischen Weggefährten“ zur Demission bewogen hatte. Stoltenbergs anschließende Versicherung, er habe sich „zu keinem Zeitpunkt unter Druck gesetzt gefühlt“, konnte diesen Eindruck nicht mehr verwischen. Zumal Stoltenberg auf Nachfragen einräumen mußte, daß es seit der Pressekonferenz nur 24 Stunden zuvor — auf der er noch alle Schuld für die illegalen Panzerlieferungen in die Türkei auf seinen Ministerialdirektor Ruppelt abgewälzt hatte — in der Sache „keine neuen Erkenntnisse“ gegeben hatte.
Rücksicht auf den Landtagswahlkampf
Nach Bekanntwerden der Panzeraffäre am letzten Freitag stand in Bonn eigentlich nicht mehr die Frage im Raum, ob Stoltenberg gehen muß, sondern nur noch wann. Die Einsicht, daß ein Fortdauern der Hängepartie bis in die nächste Woche der CDU bei den Landtagswahlen am Sonntag eher geschadet hätte, gab für Kohl schließlich den Ausschlag, den längst überfälligen Schnitt jetzt zu vollziehen. Zu dieser Einsicht verhalf dem Kanzler sicher auch die durchgehend überaus kritische Berichterstattung und Kommentierung in den Medien. Bis hin zu 'FAZ‘, 'BILD‘ und 'Welt‘ wurde in den letzten Tagen der Rücktritt Stoltenbergs oder zumindest eine „eindeutige Entschuldigung“ ('FAZ‘) für die Mißachtung des Parlaments durch die Panzerlieferung gefordert. Die „Wertungen und Wahrnehmungen in einem großen Bereich der öffentlichen Meinung“ sowie „Zuspitzungen im Wahlkampf“ waren für Stoltenberg — in Verkennung seiner eigenen Fehler — denn auch letzter Anstoß für den Rücktritt. Da bei der Entlassung eines Bundesministers automatisch auch desen parlamentarische Staatssekretäre aus dem Amt scheiden, blieb es Kohl erspart, den ebenfalls in die Panzeraffäre verstrickten Ottfried Hennig, CDU- Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, eigens zu feuern.
Mit der Entlassung des Verteidigungsministers ist die Affäre um die Panzerlieferung an die Türkei jedoch keineswegs beendet. Eine Reihe wichtiger Fragen, um deren Klärung sich heute nachmittag der Haushaltsausschuß des Bundestages auf einer von der SPD beantragten Sondersitzung bemühen will, stehen nach wie vor im Raum. Unter anderem die Frage, welche Rolle der Kanzler eigentlich selbst in der ganzen Affäre spielt(e). Denn am 18. Dezember stellte Kohl dem neuen türkischen Außenminister Cetin bei dessen Bonner Antrittsbesuch die Aufhebung der vom Haushaltsausschuß am 7. November verfügten Sperrung von 25 Millionen Mark Rüstungssonderhilfe an Ankara „in Aussicht“. So steht es in einem Brief, den Kanzleramtsminister Friedrich Bohl am 28. Februar an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Rudi Walter (SPD), schickte. Zusammen mit seinem Sperrbeschluß hatte der Haushaltsausschuß auch verfügt, daß die restlichen 15 Leopard-I-Panzer nicht an die Türkei geliefert werden. Sie wurden geliefert, und zwar nach dem 18. Dezember, dem Tag des Treffens Kohl-Cetin. Die letzen Panzer gingen am 4. Februar in die Türkei. Am 10. März war das Bohl-Schreiben an Walter Gegenstand einer Besprechung der Obleute des Haushaltsausschusses.
Rücktritt nur ein „Bauernopfer“?
Erst am 16. März erfuhr der Ausschuß durch eine vorlage des Bundesfinanzministeriums, in der die Aufhebung der Sperre für die 25 Millionen Mark Rüstungssonderhilfe beantragt wurden, daß die 15 Panzer längst geliefert waren. Die PDS möchte jetzt wisen, ob Bundeskanzler Kohl möglicherweise nach seinem Treffen mit Cetin selber die Lieferung der 15 Panzer angewiesen hat. Dann — so die PDS — sei der Rücktritt Stoltenbergs nur ein „Bauernopfer“ gewesen, um Kohl zu decken, ähnlich wie die Entlassung von Stoltenbergs Ministerialdirektor Ruppelt am Montag den Verteidigungsminister aus der Schußlinie bringen sollte. Rudi Walter sieht „bislang“ keine Anhaltspunkte für diesen Verdacht. Hofft aber, daß „die zahlreichen noch offenen Fragen, wer, wann, was gewußt und veranlaßt hat“, in der heutigen Haushaltsausschußsitzung „geklärt werden können“. Ansonsten müsse „der Bundesrechnungshof eingeschaltet werden“.
Es bleibt — auch nach dem Rücktritt Stoltenbergs — genug Stoff für die ursprünglich zur Erzwingung seiner Entlassung von der SPD beantragte Sondersitzung des Bundestages am morgigen Donnerstag. Jetzt soll in der Sitzung Stoltenbergs designierter Nachfolger Volker Rühe vereidigt werden, und der Kanzler will eine Regierungserklärung zur Türkei-Politik seiner Regierun abgeben. Andreas Zumach, Bonn
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